Der Leichenkeller
weniger freizügig als die über Queenies Bett. Die meisten zeigten Queenie, auf einigen posierte sie offenbar mit Freunden und Familienmitgliedern.
»Das muss ihr Sohn sein«, sagte ich zu Mike. Auf einem Foto trug sie ein helles Kostüm mit einem engen, wadenlangen Rock, einen Hut im Stil von Mamie Eisenhower und eine Handtasche und hatte ihren Arm um die Schulter eines Jungen gelegt, der noch jünger wirkte als Dulles Tripping. Sie standen am Fuße des Washington Monument.
»Sieht der Junge für dich wie ein Afroamerikaner aus?«, fragte Mike mit Blick auf das hellhäutige Kind mit den sandfarbenen Haaren.
»Queenie Ransome war ja selbst relativ hellhäutig. Vielleicht war sein Vater ein Weißer.«
»Schau dir das hier an«, sagte Mike. »Hier trägt sie Uniform.«
Auf dem Foto trug Ransome ein Käppi und Khakis, die an eine Armeeuniform erinnerten. Offenbar führte sie auf einer Bühne einen Stepptanz vor und salutierte dazu. Hinter ihr hing die Flagge der Truppenbetreuungsorganisation USO von einer Fahnenstange. Ich nahm das Foto von der Wand und drehte es um.
»Dasselbe Jahr wie die Nachtclubfotos, die du gestern im Büro dabei hattest – 1942. Sieht so aus, als wäre sie vor den Truppen aufgetreten.«
»Hier ist noch ein Porträt von James Van Derzee«, sagte Mike. »Ziemlich spektakulär.«
Die wiederum vom Fotografen signierte Studioaufnahme war wahrscheinlich nach dem zweiten Weltkrieg entstanden und zeigte Queenie, damals Mitte zwanzig, vor dem für diese Ära typischen künstlichen Hintergrund in einem seidenen Abendkleid, die Haare hochgesteckt und gegen eine Marmorsäule gelehnt.
Die Fotogalerie endete bei einem kleinen Bücherregal an der hinteren Wand. Alle Bücher waren aus dem Regal gezogen und auf den Boden geworfen worden. Ich hob ein paar der Bücher auf – populäre Romane aus den fünfziger und sechziger Jahren – und blätterte in ihnen, fand aber weder lose Blätter noch etwas, das zwischen den Seiten gesteckt hätte.
»Was gibst du mir für eine Erstausgabe von Hemingway?«, fragte Mike. » Wem die Stunde schlägt. «
»1940. Das bringt heutzutage ein hübsches Sümmchen.« Er wusste, dass ich Bücherraritäten sammelte. »Bei der letzten Auktion ging sie für ungefähr fünfundzwanzigtausend über den Tisch, wenn ich mich recht erinnere.«
»Hebt seine Unterschrift den Wert?«
»Du machst Witze. Lass mich sehen.« Ich nahm ihm das Buch aus der Hand. Der Einband war jungfräulich, aber bei dem Aufprall auf den Boden war der Buchrücken kaputtgegangen. »›Für Queenie – die selbst ein Fest fürs Leben ist – Papa.‹ Pack das ein und stell es sicher. Lass uns alle Bücher durchsehen.«
»Vermutlich hat sie nicht nur für die Jungs hier im Viertel ihre Beine geschwungen. Hättest du sie nicht gern kennen gelernt?«, fragte Mike und legte eine neue Platte auf. »Einfach nur hier zu sitzen und ihren Geschichten zuzuhören? Muss ’ne Klassefrau gewesen sein.«
Ich ging um die Ecke ins Schlafzimmer und schaltete das Licht ein. »Kann ich hier was anfassen?«
»Alles schon durchgesehen«, sagte Mike und folgte mir.
Die Kommodenschubladen standen offen, und ihr Inhalt lag über den ganzen Boden verstreut. Queenies altes rosafarbenes Lederschmuckkästchen war mit schwarzem Rußpulver bedeckt. »Habt ihr hier drin irgendwas gefunden?«
»Nur das, was du siehst.«
Eine lange verknotete künstliche Perlenkette, wie sie die Flapper in den zwanziger Jahren getragen hatten, einige große Broschen aus farbigem Glas und viele helle Ohrgehänge aus Bakelit oder Plastik. Ein Flohmarkthändler würde sich über diese Sachen freuen, aber nichts davon hatte Verkaufswert, und selbst der kleinste Dieb hätte sie zurückgelassen.
Ich öffnete den Wandschrank und sah die Kleiderbügel durch.
»So viel zu den Abendkleidern und Tiaras. Trag sie, solange du kannst, Coop. Am Ende bleibt dir nur das«, sagte Mike. Eine Sammlung karierter und geblümter Hauskleider und ein paar Kleider, die am ehesten für einen Gottesdienst oder eine Beerdigung geeignet wären. »Der Gerichtsmediziner hat gefragt, ob du ein passendes Kleid für ihre Beerdigung aussuchen könntest.«
»Es wird tatsächlich eine richtige Beerdigung geben?«
»Das Dezernat organisiert eine. Bisher konnte noch niemand die Nichten in Georgia ausfindig machen, und die Jungs wollen alle etwas für Queenie arrangieren. Irgendwann nächste Woche – ich sag dir noch Bescheid.«
In der Mordkommission existierte eine stillschweigende
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