Der Leichenkeller
Nachricht auf meiner VoiceMail im Büro hinterlassen, so gegen zweiundzwanzig Uhr. Ich habe sie erst jetzt abgehört. Dulles Tripping hat sie angerufen, nachdem ich sie zu Hause abgesetzt habe. Sie hatte ihm an dem Morgen im Coffeeshop ihre Telefonnummer auf ein Stück Papier geschrieben. Paige sagte, dass er sich ganz gut anhörte, nur etwas ängstlich und einsam. Hast du eine Handynummer von ihr?«
»Von Paige? Nein. Ich habe sie immer im Büro oder zu Hause angerufen. Weiß sie, wo er ist?«
»Nein. Das ist es ja. Bei Paige zu Hause geht niemand ran, und ich dachte, du könntest mir sagen, wie ich sie erreichen kann. Sie hat mir auf Band gesprochen, dass sie versuchen würde, den Jungen persönlich ins Gericht zu bringen.«
15
Das Gebäude, das wie eine überdimensionale Geburtstagstorte aussah, hatte die auffälligsten Fenster in ganz New York. Sie waren den bauchigen Achterdecks alter holländischer Segelschiffe nachempfunden, und vor der hundertjährigen Fassade des New Yorker Yachtclubs in der 44. Straße West vorzufahren, war wie ein Ausflug in eine andere Ära.
Ich kam ein paar Minuten zu spät zu meiner Verabredung mit Graham Hoyt. Mike hatte beschlossen, dass ich auch ohne seine Hilfe einen Deal mit Dulles’ Anwalt aushandeln könnte, und wollte stattdessen Mercer helfen.
»Funk uns an, falls du was Neues erfährst«, sagte Mike.
»Natürlich. Das Gleiche gilt für dich.«
»Bist du dir sicher, dass man dich durch die Vordertür reinlassen wird? Der Lieutenant sagt, dass es schwerer ist, in diesen Yachtclub reinzukommen, als dich ins Bett zu kriegen.«
»Mich auszuführen ist auf jeden Fall günstiger als die Mitgliedsgebühren hier«, erwiderte ich und knallte die Autotür zu. »Bis später.«
Ich hatte schon so manche Stunde in dem gegenüberliegenden Gebäude – der Anwaltskammer von New York City – verbracht und etliche Cocktails in der eleganten Lobby des Royalton Hotel getrunken. Aber dieses architektonische Schmuckstück, mit seinen galeonenartigen Fenstern, war eins von Manhattans großen Geheimnissen. Die elitäre Mitgliedschaft, sagenumwobene Geschichte und die unerschwinglichen Mitgliedsgebühren hatten mich schon lange neugierig gemacht. Mit Geld allein konnte man sich nicht einkaufen – man musste wirklich über den Bootssport Bescheid wissen, um aufgenommen zu werden. Ich war wider Willen beeindruckt, dass Graham Hoyt hier Mitglied war.
Hoyt wartete in der Lobby auf mich, also nickte der Portier nur und ließ mich den Hauptsalon durchqueren.
»Sollen wir uns im Modellraum unterhalten?«
»Ganz wie Sie möchten. Ich bin das erste Mal hier«, sagte ich.
Der Modellraum war eindeutig das Herzstück des Clubs. In dem riesigen Saal schien die ganze Geschichte des Segelsports ausgestellt zu sein: Hunderte von Schiffsmodellen, Globen und Astrolabien, und sowohl der riesige Kamin als auch die Wände waren umlaufend mit Tangsträngen aus Kalkstein verziert.
»Kommt Chapman auch noch?«, fragte Hoyt, während wir es uns in der Ecke in zwei Sesseln gemütlich machten.
»Nein. Er kümmert sich um einen anderen Fall. Haben Sie irgendetwas von Dulles gehört?«
»Leider nein. Jenna – meine Frau – hütet das Telefon. Ich bin fest entschlossen, keine Panik aufkommen zu lassen, bevor nicht wenigstens noch ein Tag um ist.« Er beugte sich vor und legte seine Hände auf die Knie. »Alex, warum sagen Sie mir nicht einfach, was Sie haben und was Sie für die beste Lösung halten? Vielleicht fällt uns etwas ein, womit ich Andrew überzeugen kann, dass es im besten Interesse des Jungen wäre, auf schuldig zu plädieren.«
»Ich glaube, dass er sich der Stärken und Schwächen meines Falls sehr wohl bewusst ist.« Meine persönlichen Gedanken über die Zeugen hätte ich nie und nimmer jemandem offenbart.
»In dem offen gelegten Material, das Sie Peter Robelon vor dem Prozess übergeben haben, hieß es, dass Paige Vallis jemanden umgebracht hätte. Was hat es damit auf sich? Glauben Sie nicht, dass Peter sie während des Kreuzverhörs in Stücke reißen wird?«
»Hören Sie, Graham, Sie verstehen doch sicher, warum ich nur ungern –«
»Ich bin kein Prozessanwalt, Alex. Ausschließlich Unternehmensrecht. Fühlen Sie sich bitte nicht auf den Schlips getreten. Ich möchte bloß nicht, dass die Geschworenen Paiges Glaubwürdigkeit in Frage stellen und Dulles’ Fall mit dem ihren verwerfen.«
Er erzählte mir, wie er und seine Frau sich im Laufe der Jahre mit dem Jungen angefreundet
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