Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Abend der Saison

Der letzte Abend der Saison

Titel: Der letzte Abend der Saison Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
überqueren können, wo wir wollen, müssen wir eben so rüberfahren.«
    »Di… direkt über die Eisenbahn?«
    »Na, machst du mit, Lennart?«
    »Was … nee …«
    »Du würdest das nicht mitmachen?«
    »I… ist das gefährlich?«
    »Allerdings, das ist es. Verdammt gefährlich ist es und es ist ganz dumm, mit einem neuen Auto über die Eisenbahn zu fahren.«
    »Ja …«
    »Ich würde das nie tun«, sagte der Onkel, »nur Idioten machen so was.«
    Der Junge antwortete nicht.
    »Aber wir werden über einen richtigen Übergang fahren, und zwar über den dort hinten«, sagte der Onkel und der Junge sah die blinkenden Lichter am unbeschrankten Bahnübergang und von Westen her hörte er den Zug.
    Er hatte während des Sommers viel über den Tod nachgedacht und wusste nicht, warum. Fast jeden Tag, seit die Ferien begonnen hatten. Denkt man viel an den Tod, wenn man bald sterben wird?, fragte er sich, dann dachte er an die Pferde und noch an ein paar andere Sachen.
    Er sah, dass die Lichter auf Rot wechselten.
    Der Onkel schien das nicht zu bemerken, es war, als würde er noch schneller fahren, doch fünfundzwanzig Meter vor dem Übergang bremste er plötzlich ab. Unter den Reifen knirschte es furchtbar.
    »Diese verdammten unbeschrankten Bahnübergänge sind gefährlich«, sagte der Onkel. »Man hört den Zug überall und andauernd und am Ende hat man keine Angst mehr, sondern fährt einfach drauflos und dann knallt es. Hast du dich gefürchtet?«
    »Ja.«
    »Gut so, Lennart.«
    Sie warteten, bis der Zug wie ein sich kringelnder dicker Leuchtwurm am Horizont verschwunden war. Das Einzige, was man jetzt noch hörte, waren der Automotor und ein paar Gänse, die rechts von ihnen von einem Tümpel aufflogen.
    Der Junge schaute dorthin und sah die Vögel, die dem Himmel zustrebten, und das dunkle Loch, das sie hinter sich gelassen hatten.
    Das Wasser dampfte. Jemand hat den ganzen Tümpel mit Mullbinde eingewickelt, dachte er.
     
    Wir bogen nach drei Kilometern von der Hauptstraße ab und fuhren auf einem Weg in den Wald hinein, der von den Bulldozern der Waldarbeiter kaputtgefahren worden war. Mein Vater fluchte und schaute rasch zu mir nach hinten.
    »Wie sieht’s aus?«, fragte er und richtete den Blick sogleich wieder auf den Schotterweg.
    »Eine von den Rosetten ist abgefallen, als du dem Hasen ausgewichen bist, aber ich habe sie wieder dranbekommen.«
    »Ist die Glasur noch warm?«
    »Die Rosette ist jedenfalls wieder dran.«
    Ich spürte die schwache Wärme der Zuckerlösung, als ich die Hand an die Außenseite der Schale aus rostfreiem Edelstahl legte. Das Auto fuhr erneut in ein Schlagloch und ein Stück der hohen Torte brach ab, aber ich konnte es mit der Hand auffangen, ehe es auf den Boden fiel.
    Ich klebte das Stück wieder fest. Im Auto roch es nach Mandel und Zucker und nach Tabak. Mein Vater rauchte nervös, sein Blick wanderte immer wieder zum Rückspiegel. Es fing an zu regnen und der Wald wurde dunkler. Es war spät am Nachmittag und die Hochzeit hatte vielleicht schon begonnen.
    »Warum konnten die auch nicht rechtzeitig bestellen, verdammt noch mal«, sagte mein Vater.
    Seine Augäpfel im Rückspiegel waren rot. Er war die ganze Nacht auf gewesen und hatte die Hochzeitstorte gebacken. Er hatte den Mandelteig auf Backpapier gespritzt und die Teile nach einer eigenen Zeichnung zusammengefügt. Er war Architekt und Künstler.
    Die mehrstöckige Torte war höher als ein Meter. Das Brautpaar auf der Spitze schaukelte im Takt mit dem Auto. Mein Vater hatte das Brautpaar aus Marzipan gemacht. Das Diadem der Braut befand sich sehr dicht am Dach des Wagens. Das Paar stand auf einer kleinen Bühne, die mit kandierten Veilchen geschmückt war. Es sah schön aus.
    Ich konzentrierte mich auf die Bewegungen des Wagens. Die Stoßdämpfer waren schlecht und die Torte konnte dem Rhythmus nicht folgen. Ein Stück fiel herab und ging entzwei.
    »Verdammt«, sagte ich.
    Mein Vater hielt das Auto an, stieg aus und öffnete die Rückklappe.
    »Das kann man nicht kleben«, sagte er und nahm ein Ersatzstück Torte aus einem Karton auf dem Vordersitz und fügte es an dem Platz des alten Stückes ein. Es hatte dieselbe verschnörkelte graziöse Form. »Kannst du nicht alles ein wenig höher halten?«
    »Das Brautpaar berührt schon fast das Dach«, wandte ich ein.
    Er beugte sich vor und hob das Brautpaar von der Spitze. Nur er hatte das Recht, es von der Torte zu trennen.
    Es war fast dunkel. Ich dachte, dass wir vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher