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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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will er sich dann von einem päpstlichen Legaten die Kaiserkrone aufsetzen lassen. Kannst du dich an ihn erinnern?«
    »Heinersdorf!« rief Rehbock.
    »Und in Köln bei der Fürstenversammlung – hat er da schon angedeutet, daß er dich fallenlassen will?«
    »Heinersdorf«, wiederholte Rehbock.
    »Vielleicht wäre doch alles anders gekommen, wenn wir nach Nürnberg gegangen wären … Was meinst du?«
    »Heinersdorf.«
    »Weißt du eigentlich, daß letztes Jahr Balduin von Trier gestorben ist, Karls große Stütze?«
    »Heinersdorf.«
    So ging das eine Weile, bis Rehbock ermüdet war und in die Kissen sank, um weiterzuschlafen. Eine Stunde später aber, beim nächsten Besucher, konnte er dann so heftig und ohne jede Pause auf den einreden, daß der meinte, betrunken zu sein und sehr schnell wieder ging.
    »Elisabeth ist die ganze Zeit bei mir gewesen. Kennst du noch Elisabeth? Was, du kennst Elisabeth nicht mehr!? Ich soll ein schlechtes Gedächtnis haben? Ihr habt ein schlechtes Gedächtnis! Elisabeth ist ertrunken. Elisabeth ist ertrunken, als sie einen bayerischen Ritter gesehen hat. Vielleicht Ludwig selber. Elisabeth ist die ganze Zeit bei mir gewesen. Kennst du noch Elisabeth? Was, du kennst Elisabeth nicht mehr!? Bettelnonne ist sie gewesen. Und in Jüterbog hab ich sie getroffen. Oder war's in Belzig? Ja, in Belzig ist es gewesen. Da ist sie zu mir gekommen. Sie hat gleich gespürt, daß der Herr mich nach Brandenburg geschickt hat, alle zu erlösen. Elisabeth ist die ganze Zeit bei mir gewesen. Kennst du noch Elisabeth? Was, du kennst Elisabeth nicht mehr!?«
    Elisabeth fehlte ihm am schmerzlichsten, aber auch Hans Lüddecke. Dessen Lanze hatte er noch packen und sich retten können, vor viereinhalb Jahren im Eis des Königsberger Sees. Aus der Prignitz hatten sie ihn nach Dessau geschafft.
    Wo lag Dessau? Was hieß das: Des-sau? Des Sau, dessen Sau, wessen Sau? Oft fragte er sich das. Auch wußte er nicht immer, in welchem Jahr man sich befand.
    Ein Tag war wie der andere. Nachdem ihn ein Kämmerer morgens zurechtgemacht und gefüttert hatte, stand er auf und schlurfte steif durchs Zimmer, gebeugt wie jemand, der sich demutsvoll verneigte, die Knie eingeknickt und die Arme nach vorn gestreckt, als müßte er sich wie ein Blinder den Weg ertasten. Aber gut sehen konnte er. Wenn er dann vor seinen Truhen stand, kniete er nieder und suchte nach etwas, von dem er nicht wußte, was es war.
    Immer wenn Waldemar von Anhalt dieses sah, fragte er ihn, ob er nicht bald sterben möchte.
    »Nein«, kam da jedesmal die Antwort. »Ich muß erst wissen, wer hinter der letzten Tür verborgen ist.«
    »Welcher Tür?«
    Und Rehbock erklärte es ihm. »Ich mache eine auf … und noch eine und noch eine und noch eine und noch eine und noch eine …« Dabei machte er stets die Handbewegung zum Öffnen einer Tür. »… und noch eine und noch eine und noch eine …«
    Das konnte ewig gehen und war für seine Verwandten ebenso qualvoll, wie wenn er den Müller spielte. Da stand er dann vor seinem Bett und ließ die Arme kreisen wie Windmühlenflügel, bis er erschöpft zusammensank, und niemand konnte ihn davon abbringen.
    Seine Stimmung war wechselhaft. Mal fühlte er sich paradiesisch wohl und sah sich als Engel durch die Himmel schweben, dann wieder weinte und schrie er vor Schmerz, ohne zu sagen, was es war, das ihm solche Qualen bereitete.
    Oft stand er vor dem Spiegel und starrte vom Mittag bis zum Abend hinein. Solange, bis aus dem Rehbock wirklich der Waldemar wurde. Andererseits aber bezeichnete er sich, so verwirrt er auch war, nie als Markgraf, sondern sprach von sich immer als ›dem Rehbock‹: »Der Rehbock will gleich essen«, oder: »Der Rehbock betet jetzt. Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der Herr ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.« Aber so richtig wollte er sich auch nicht als Rehbock fühlen und stand immer ein wenig neben sich. Genau das war sein Fluch: Trat er als Markgraf Waldemar auf, sah er sich als einen Betrüger – als Jakob Rehbock aber auch. Wer bin ich wirklich, mein Gott, woher komme ich, was ist mit mir!?
    Doch sosehr er auch fragte, eine Antwort stellte sich nicht ein, und er konnte keinen inneren Frieden finden. Hoch anzurechnen war es den anhaltinischen Fürsten, daß sie sich so geduldig um ihn kümmerten, galt es doch als höchst zweifelhaft, ob dieser Greis wirklich Waldemar war, der letzte Zweig am Stammbaum des

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