Der Letzte Askanier
war die Versuchung groß, die Akteure auch ›modern‹ reden und denken zu lassen. Ihr habe ich nach Kräften zu widerstehen versucht. Dennoch müssen wir uns natürlich darüber im klaren sein, daß man im Jahre 1348 ganz anders geschrieben und gesprochen hat als heute – beispielsweise so wie in einer Urkunde Waldemars: »Wir Woldemar von der gnade gotes tzu Brandenburg vnde tzu Landesberg Markgraf vnd des heiligen Romisschen Richs obristir kammerer, bekennen vnd betzugen offenbar in dissem briefe, daz wir sollin vnd wollin vnsin libin getruwin borgern gemeynlichin in der Stadt tzu Tangermunde, di no sint vnde tzu körnende sint, haldin alle ire rechticheit, gnade vnde vriheit, vnde ire gute gewonheit, di si von aldir von den heren gehat habin, vnd sollin en di bezzern vnd nicht ergern.« So hätte ich also schreiben müssen, um den ›Zeitgeist‹ authentisch wiederzugeben, und insofern ist zumindest jede wörtliche Rede eine Übersetzung ins ›Derzeitdeutsche‹.
Zu verteidigen habe ich – wissenschaftlich gesehen – vor allem meine so nirgends zu findende Version des Waldemar-Themas, daß nämlich Waldemar zwar die ganze Zeit über ›biologisch‹ echt gewesen ist, sich aber infolge eines traumatischen Erlebnisses (einer Hirnverletzung) nicht als Waldemar, sondern als ein anderer gefühlt hat. Dieser ›Kompromiß‹ in der Waldemar-Forschung scheint mir aber durchaus logisch zu sein, denn studiert man die Quellen, haben beide Parteien gleichermaßen recht: Diejenigen, die Waldemar für echt, und diejenigen, die ihn für unecht halten. Bei mir ist er beides – und nur so kann die Gleichung stimmen. Ein solches Trauma – ob nun physisch oder psychisch bedingt – ist bei einem, der sich unter den damaligen Bedingungen fast drei Jahrzehnte lang im Nahen Osten aufgehalten hat, sehr gut möglich. Meine Hypothese setzt voraus, daß der echte Markgraf Waldemar wirklich ein extravaganter bis psychisch kranker Mensch gewesen sein muß, um auf die Idee mit dem fremden Toten im Grab und der heimlichen Pilgerreise nach Jerusalem zu kommen. Das ist der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Waldemar-Geschichte, aber gerade dafür liefert der ernsthafte Historiker Klöden etliche Beweise. So heißt es im Band über die Jahre 1295–1323 auf der Seite 318: »Nicht unerwähnt dürfen wir lassen, daß nach der Andeutung eines … Zeitgenossen, des Autors der Magdeburgischen Chronik, der … in der Nähe lebte und gut unterrichtet war, viele den Markgrafen Waldemar für geistig überspannt hielten, eine höchst bedeutsame Äußerung, die wenigstens zeigt, daß Waldemars exzentrisches phantastisches Wesen vielen völlig unverständlich war.« Später, nach dem Wiedererscheinen Waldemars, urteilt Klöden anhand der vorhandenen Quellen sehr eindeutig und versucht an verschiedenen Stellen nachzuweisen, »daß Markgraf Waldemar an einer Monomanie oder Verstandesverwirrung litt, die nach und nach gestiegen war und ihn von Zeit zu Zeit für alle Geschäfte unbrauchbar machte« (Band über die Jahre 1345 bis 1356, Seite 401), und bescheinigt ihm »teilweisen Irrsinn« (Seite 403). Wie das Krankheitsbild Waldemars beschrieben ist, zeigen sich Symptome von Paralyse, Alzheimer- und Parkinson-Krankheit.
Klöden übrigens hält Waldemar für echt und weist dies, sehr überzeugend für mich, an vielen Stellen seines Werkes nach, kann aber eine Menge Ungereimtheiten im Verhalten Waldemars nicht erklären und die Hochstapler- bzw. Instrumentalisierungsthese nicht völlig widerlegen.
Wie gesagt, alles scheint mir nur stimmig zu sein, wenn Waldemar zwar Waldemar war, aber nicht wußte, daß er Waldemar ist.
Wenn Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, über dieses Buch ärgern sollten, dann ist dies allein meine Schuld, hat es Ihnen aber den erwarteten Lesegenuß verschafft, dann ist dies auch denen zu danken, die mir geholfen haben: Dr. Helmut Lindner allen voran, der für mich die Archivarbeit geleistet hat und mit mir immer wieder über ›den‹ Waldemar diskutiert hat, Prof. Dr. Peter Heinrich, der – als Freund, Psychologe und Sprachforscher – das Manuskript durchgesehen hat, Liane und Peter Hüne, die mich nicht nur mit Nachschlagewerken versehen, sondern auch mit Rat und Tat und viel Nächstenliebe dafür gesorgt haben, daß ich im letzten Jahr überhaupt arbeitsfähig war, und ohne H. und L. hätte ich sowieso keinen Sinn in allem gesehen. Auch wäre dieses Buch nicht ohne ›Argon‹ entstanden: Mit Dr. Norbert Jaron
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