Der letzte Beweis
geblufft hat. Vielleicht denkt er sich auch, dass es Zeit- und Geldverschwendung wäre.«
Sie schüttelt den Kopf. »Der Mann ist boshaft. Er würde aus lauter Bosheit antreten.« Von der abgehobenen Warte, aus der Barbara mein Universum betrachtet, kann sie tief blicken, wie ein Eisvogel, und ich weiß sofort, dass sie recht hat, womit das Gespräch ein jähes Ende findet.
Barbara hat die Reste von Annas Möhrenkuchen mit nach Hause gebracht, aber wir haben uns noch immer nicht ganz von dem Zuckerkoma erholt, das er ausgelöst hat. Stattdessen räumen wir ab und spülen. Mein Sohn und ich setzen uns anschließend vor den Fernseher und schauen zwanzig Minuten zu, wie die Trappers ein Baseballspiel verlieren. Die einzige Zeit, die ich je mit meinem Vater verbrachte - abgesehen von den Stunden in der Familienbäckerei, in der ich arbeitete, seit ich sechs Jahre alt war -, waren die wenigen Momente in der Woche, wenn er mir erlaubte, mich neben ihn auf den alten Diwan zu setzen, während er sein Bier trank und Baseball kuckte, ein Spiel, das ihn, den Immigranten, unerklärlich faszinierte. Nat war in der Highschool ein ganz guter Spieler, schien aber jegliches Interesse an Baseball zu verlieren, als er in der vorletzten Klasse seinen Stammplatz im Team verlor. Aber vielleicht wird ja manches über Generationen hinweg weitergegeben, jedenfalls nimmt er sich fast immer ein paar Minuten Zeit, um mit mir zusammen ein Spiel zu kucken.
Abgesehen von unseren Entsetzensäußerungen über die ewig glücklose Mannschaft oder juristischer Fachsimpelei reden Nat und ich kaum miteinander. Barbara dagegen belagert unseren Sohn mit einem täglichen Anruf, den er auf unter eine Minute begrenzt hält. Dennoch würde es gegen eine grundlegende Übereinkunft verstoßen, wenn ich mich nicht nach seinem derzeitigen Befinden erkundigen würde, obwohl ich weiß, dass er meinen Fragen ausweichen wird.
»Wie läuft's mit deinem Aufsatz?« Nat, der Ambitionen hat, Juraprofessor zu werden, schreibt für die Easton Law Review einen Artikel, in dem er unter psycholinguistischen Aspekten untersucht, wie Richter für Geschworene einen Prozess zusammenfassen, ehe sie sie zur Beratung entlassen. Ich habe zwei Entwürfe gelesen und verstehe kein Wort.
»Fast fertig. Geht diesen Monat in Druck.«
»Ausgezeichnet.«
Er nickt einige Male, um nicht weiter über das Thema reden zu müssen. »Ist das okay, wenn ich dieses Wochenende rauf zur Hütte fahre?«, fragt er. Er meint unser Wochenendhäuschen in Skageon. »Ich würde mich gerne da verkriechen, um den Artikel ein letztes Mal zu überarbeiten.« Es steht mir nicht zu, ihn danach zu fragen, aber es ist so gut wie sicher, dass Nat nur mit seinem liebsten Begleiter hinfahren wird - ihm selbst.
Als im letzten Inning zwei Spieler der Trappers ausscheiden, hat Nat schließlich genug. Er ruft seiner Mutter einen Abschiedsgruß zu, doch die ist inzwischen völlig im Netz versunken und antwortet nicht. Ich schließe die Tür hinter ihm und gehe meinen Aktenkoffer holen. Barbara und ich haben wieder auf Normalmodus geschaltet. Es gibt kein Geräusch, kein Fernsehen, keine rauschende Spülmaschine. Die Stille ist die Abwesenheit jeglicher Verbindung. Sie ist in ihrer Welt, ich bin in meiner. Nicht mal die Funkwellen aus dem All könnten hier gemessen werden. Doch ich habe mich dafür entschieden, und ich glaube noch immer oft, dass ich es so will.
In meinem kleinen Arbeitszimmer im Erdgeschoss lade ich die Dateien von dem USB-Stick und korrigiere die Entwürfe der Urteilsbegründungen, dann schaue ich in meine privaten E-Mails und finde etliche Geburtstagsgrüße. Gegen elf schleiche ich nach oben ins Schlafzimmer und stelle fest, dass Barbara unerwarteterweise auf mich gewartet hat. Es ist schließlich mein Geburtstag. Und ich bekomme wohl noch ein spätes Geschenk.
Ich vermute, dass die sexuellen Praktiken in langen Ehen sehr viel abwechslungsreicher und somit theoretisch auch interessanter sind als die zwischen Partnern, die sich in irgendwelchen Singlebars begegnen. Von manchen Freunden in unserem Alter höre ich gelegentlich Bemerkungen, die darauf schließen lassen, dass der Sex in ihren Beziehungen praktisch abgehakt ist. Aber Barbara und ich haben noch immer ein stabiles Sexualleben, wahrscheinlich um die anderen Defizite unserer Ehe auszugleichen. Meine Frau sah immer sehr gut aus und wirkt jetzt, wo viele ihrer Altersgenossinnen von den Jahren gezeichnet sind, noch attraktiver. In ihr steckt
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