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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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alles auszuprobieren, was ihr Psychopharmakologe ihr empfiehlt, um sich besser in den Griff zu bekommen. In guten Zeiten nimmt sie eine Handvoll Tabletten: Tegretol. Seroquel. Lamictal. Topamax. Wenn ihre Stimmung sich verschlechtert, oder besser gesagt verdüstert, greift sie tiefer in den Arzneischrank und nimmt trizyklische Antidepressiva wie Asendin oder Tofranil, von denen sie müde wird und aussieht, als wären ihr Löcher in die Pupillen gebohrt worden, weshalb sie selbst im Haus eine dunkle Sonnenbrille tragen muss. In den allerschlimmsten Momenten nimmt sie Phenelzin, ein Neuroleptikum, von dem sie und ihr Arzt wissen, dass es sie zuverlässig vom Abgrund zurückholt, was die vielen Risiken und Nebenwirkungen vertretbar macht. Zurzeit bekommt sie regelmäßig fünfzehn bis zwanzig Medikamente verschrieben, darunter auch die Schlaftabletten, die sie jeden Abend nimmt, und die Mittel gegen ihren chronisch hohen Blutdruck und die gelegentlichen Herzrhythmusstörungen. Sie bestellt alles übers Internet, und ich hole es zwei- oder dreimal die Woche für sie ab.
    Das Geburtstagsdinner zu Hause ist eine lustlose Angelegenheit. Meine Frau ist eine gute Köchin und hat drei Filets gegrillt, jedes so groß wie eine Männerfaust, aber irgendwie haben wir alle unseren Vorrat an guter Laune bei der Feier im Richterzimmer aufgebraucht. Nat, der mal ganz den Eindruck machte, als würde er sein Elternhaus nie verlassen wollen, und sich mittlerweile nur noch selten bei uns blicken lässt, ist wie üblich schweigsam während des ganzen Essens. Fast von Anfang an ist klar, dass wir es eigentlich nur hinter uns bringen wollen, um sagen zu können, dass wir an einem bedeutsamen Tag zusammen zu Abend gegessen haben, und dann in die innere Welt aus Zeichen und Symbolen zurückzukehren, mit der jeder von uns sonderbar beschäftigt ist. Nat wird nach Hause fahren, um sich auf die morgigen Juraseminare vorzubereiten, Barbara wird sich in ihr Arbeitszimmer und das Internet zurückziehen, und ich, Geburtstag hin oder her, werde den USB-Stick in meinen Computer schieben und die Entwürfe der Urteilsbegründungen lesen.
    Bis dahin halte ich, wie so oft in meiner Familie, das Gespräch in Gang. Mein Treffen mit Harnason ist immerhin so eigenartig, dass es sich lohnt, davon zu erzählen.
    »Der Giftmischer?«, fragt Barbara, als ich den Namen erstmals erwähne. Sie hört meist nur mit einem halben Ohr hin, wenn ich von der Arbeit rede, aber es ist immer wieder verblüffend, was Barbara Bernstein Sabich trotzdem so alles mitbekommt. Gegenwärtig ist sie eine verstörende Kopie meiner leicht verrückten Mutter, wenngleich mit weit mehr Stil. Meine Mutter war in den letzten Lebensjahren, nachdem mein Vater sie verlassen hatte, so manisch, dass sie ihre Gedanken auf Hunderten von Karteikarten festhielt, die sie auf unserem alten Esstisch stapelte. Sie litt stark unter Agoraphobie, und ihre einzige Fluchtmöglichkeit aus der kleinen Wohnung waren regelmäßige Anrufe bei Radiotalkshows.
    Auch meine Frau scheut sich, das Haus zu verlassen. Als geborener Computerfreak ist sie vier bis sechs Stunden täglich im Internet unterwegs, frönt jeder Neugier - Rezepte, unser Aktienbestand, die neusten Fachzeitschriften für Mathematik, Verbrauchertipps und ein paar Spiele. Nichts im Leben beruhigt sie so sehr wie der Zugriff auf ein Universum von Informationen.
    »Ich hab mal gegen den Mann die Anklage vertreten. Er war Anwalt, der sich am Geld seiner Mandanten bedient hat. Schwul.«
    »Und was will er jetzt von dir?«, fragt Barbara.
    Ich zucke die Achseln, aber während ich die Geschichte erzähle, wird mir plötzlich etwas klar, etwas, das sich in den letzten Stunden in mir aufgebaut hat und das ich nur widerwillig eingestehe, selbst meiner Frau und meinem Sohn gegenüber: Ich habe mich zutiefst schuldig gemacht, weil ich aufgrund von Vorurteilen, für die ich mich heute schäme, einen Mann ins Gefängnis geschickt habe. Und in diesem Licht betrachtet, begreife ich, was Harnason insgeheim andeuten wollte: Wenn ich ihn nicht aus den falschen Gründen angeklagt hätte, wenn ich ihm nicht seinen Beruf genommen und ihn nicht in Schande gestürzt hätte, dann wäre sein Leben völlig anders verlaufen. Er hätte die Selbstachtung und Selbstbeherrschung besessen, seinen Partner nicht zu ermorden. Ich hab diesen Absturz in Gang gesetzt. Die moralische Wucht dieser Überlegung lässt mich verstummen.
    »Du erklärst dich doch jetzt wohl für befangen,

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