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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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gewünscht?«
    »Ich wollte mehr Kinder. Barbara hatte tausend Entschuldigungen. Sie könnte nie ein anderes Kind so lieben wie Nat. Und so weiter. Im Rückblick denke ich, sie wusste, dass sie krank war. Und anfällig.«
    »Aber hast du dir eine Tochter gewünscht?«
    »Ich hatte schon einen Sohn.«
    »Also ja?«
    Ich versuche, mich in die Sehnsüchte jener Jahre zurückzuversetzen. Ich wollte Kinder, wollte Vater sein, wollte es besser machen, als ich es selbst erlebt hatte - es war ein beherrschendes Verlangen.
    »Ich denke, schon«, antworte ich.
    Sie steht auf und streift langsam den Bademantel ab, den sie angezogen hat, weil ihr kalt war, lässt ihn von den Schultern gleiten und betrachtet mich dabei mit einem seelenvollen Blick, den ich aus ihren letzten Arbeitstagen bei mir kenne.
    »Das dachte ich mir«, sagt sie und streckt sich neben mir aus.
     
    Es bleibt schwierig, Anna nach unseren abendlichen Treffen zu verlassen. Sie fleht mich an, nicht zu gehen, und schreckt auch nicht vor dem Einsatz verruchter Mittel zurück. Heute Abend kleidet sie sich widerstrebend an, und als wir zur Tür gehen, legt sie beide Hände dagegen und lässt ihr Hinterteil vor mir kreisen wie eine Nachtclubtänzerin.
    »Du machst es mir schwer zu gehen.«
    »Das ist genau meine Absicht.«
    Sie setzt diesen lüsternen kleinen Tanz fort, und ich drücke mich gegen sie und falle in die Bewegung mit ein, bis ich vollends erregt bin. Unvermittelt schiebe ich ihr den Rock hoch, ziehe den Slip beiseite und dringe in sie ein. Ohne Gummi: für uns ein tollkühner Akt. Selbst beim ersten Mal hatte Anna Kondome in ihrer Handtasche.
    »O Gott«, sagt sie. »Rusty.«
    Aber keiner von uns hört auf. Ihre Hände stemmen sich gegen die Tür. Wir beide spüren die ganze Verzweiflung und den Wahnsinn unserer Beziehung. Und als ich endlich komme, empfinde ich das als den wahrhaftigsten Augenblick, den wir bislang hatten.
    Hinterher sind wir beide ein bisschen erschüttert, und wir ordnen unsere Kleidung in bedrücktem Schweigen.
    »Soll mir eine Lehre sein, vor dir mit dem Hintern rumzuwackeln«, sagt sie, als ich zuerst gehe.
     
    Das Schuldgefühl ist ein Stoßtrupp, der sich verstohlen anschleicht und dann alles andere lahmlegt. Nach diesem kurzen Moment der Hemmungslosigkeit werde ich unentwegt von naheliegenden Ängsten heimgesucht. Mir kommen fast die Tränen, als ich spätnachts eine von Annas kryptischen E-Mails bekomme. »Besuch eingetroffen«, steht da unter Verwendung der altertümlich viktorianischen Umschreibung für Menstruation. Doch auch danach gibt es ein Wort, das sich jedes Mal, wenn es mir einfällt, wie eine eisige Hand um mein Herz legt: Geschlechtskrankheit. Was, wenn Anna, die viel herumgekommen ist, ohne es zu wissen, mit irgendwas infiziert ist, das ich weitergeben könnte? Wieder und wieder stelle ich mir Barbaras Gesicht bei der Rückkehr von ihrem Gynäkologen vor.
    Ich weiß, diese Furcht ist größtenteils irrational. Aber das unablässige Und-wenn-doch? ist wie ein Nagel, der sich mir ins Gehirn bohrt. So stark, wie ich ohnehin schon leide, kann ich nicht noch eine weitere wild wuchernde Sorge ertragen. Also gebe ich eines Tages in meinem Amtszimmer das Wort Geschlechtskrankheiten in die Suchmaschine ein und lande auf einer Webseite. Von einem Münztelefon am Busbahnhof rufe ich dort an, wobei ich mich so stelle, dass niemand mithören kann.
    Die junge Frau am anderen Ende der Leitung ist geduldig, tröstend. Sie erklärt, wie der Test vor sich geht, und sagt dann, dass ich mit Kreditkarte bezahlen kann. Die Abkürzung, die auf der Rechnung erscheint, wäre unauffällig, aber solche Details würden Barbaras Aufmerksamkeit niemals entgehen. Bei Ausgaben, die sie sich nicht erklären kann, fragt sie immer, ob sie absetzbar sind.
    Mein Schweigen spricht Bände. Daraufhin fügt die höfliche junge Frau hinzu: »Sie können aber auch per Postüberweisung oder Barscheck bezahlen, falls Ihnen das lieber ist.« Sie gibt mir eine PIN, die im gesamten Testverfahren statt meines Namens auftauchen wird.
    Ich kaufe den Barscheck am nächsten Tag, als ich zur Bank gehe, um meinen frisierten Gehaltsscheck einzuzahlen. »Soll ich Sie als Einzahler aufführen?«, fragt der Bankangestellte.
    »Nein«, sage ich mit peinlicher Hast.
    Von dort begebe ich mich direkt in den dreizehnten Stock eines Bürogebäudes in der Innenstadt, wo ich den Scheck abgeben soll, und lande vor der Tür eines Import-Export-Unternehmens. Ich spähe hinein,

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