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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Turow
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gehe dann wieder hinaus, um die Adresse in meiner Tasche zu überprüfen. Als ich wieder eintrete, beäugt mich die Frau am Empfang, eine Russin mittleren Alters, mit einem herrischen Blick und fragt mit starkem Akzent: »Sie wollen mir geben Geld?« Sinnvoll, diese Tarnung, denke ich. Selbst wenn mir ein Detektiv gefolgt wäre, könnte er nicht erkennen, was ich hier will. Sie nimmt meinen Scheck, wirft ihn kurzerhand in eine Schublade und widmet sich wieder ihrer Arbeit. Was für eine Menagerie der Untreue diese Frau wohl schon gesehen hat! Scharenweise schwule Männer. Eine Mom mit zwei Kindern im Kinderwagen, die es mit dem Nachbarn getrieben hat, der zurzeit arbeitslos zu Hause hockt. Und wahrscheinlich jede Menge Männer wie ich, angegraut und im fortgeschrittenen Alter, von Angst gezeichnet, weil sie sich mit dreihundert Dollar teuren Edelnutten vergnügt haben. Schwäche und Torheit sind ihr Geschäft.
    Im Vergleich dazu ist der eigentliche Test prosaisch. In einer Praxis gegenüber der Uniklinik gebe ich lediglich meine PIN an. Die Frau, die mir Blut abnimmt, ringt sich nicht mal ein Lächeln ab. Schließlich stellt jeder Patient eine mögliche Gefahr für sie dar. Sie warnt mich nicht vor, dass der Einstich schmerzhaft sein könnte.
    Vier Tage später teilt mir ein Berater mit, dass ich sauber bin. Als ich das nächste Mal mit Anna zusammen bin, erzähle ich es ihr. Ich hatte erwogen, ihr gar nichts davon zu sagen, doch wissenschaftliche Fakten sind, wie ich einsehe, überzeugender als mein Wort.
    »Ich hab keine Angst gehabt«, antwortet sie. Sie späht unter ihren vollen Brauen hervor. »Du denn?«
     
    Ich sitze auf dem Bett. Es ist Mittagszeit, und auf dem Flur höre ich den Minibar-Auffüller an Türen klopfen, damit er hereinkommen und nachsehen kann — eine tolle Tarnung für einen Privatdetektiv, denke ich in meinem derzeitigen beunruhigten Zustand.
    »Es gibt viele Fragen, die ich nicht stellen wollte.« Da ich nicht versprechen kann, nicht mit Barbara zu schlafen, maße ich mir nicht an, von Anna Treue zu verlangen. Ich weiß noch immer nicht, ob sie sich mit anderen Männern trifft, aber ich bekomme selten Antwort auf die kurzen E-Mails, die ich ihr gelegentlich an Wochenenden schicke. Seltsamerweise bin ich nicht eifersüchtig. Ich stelle mir immer wieder den Moment vor, an dem sie mir sagt, dass sie die Sache beendet, dass diese Erfahrung für sie abgeschlossen ist und sie sich wieder in Richtung auf ein normales Leben bewegen will.
    »Im Augenblick gibt es niemanden außer dir, Rusty.« >Im Augenblick< denke ich. »Und ich bin immer vorsichtig gewesen. Tut mir leid, dass ich ausgeflippt bin. Aber ich hab noch nie abgetrieben.«
    »Ich hätte das nicht tun sollen.«
    »Ich fand's wunderbar«, sagt sie leise und setzt sich neben mich. »Wir könnten es weiter so machen. Wo wir doch jetzt Bescheid wissen. Ich hab ein Diaphragma.«
    »Und was passiert, wenn du jemand anderen kennenlernst?«
    »Ich hab doch gesagt, dass ich immer vorsichtig bin. Ich meine«, sagt sie und verstummt.
    »Was?«
    »Es muss niemand anderen geben. Wenn du mir sagst, dass du daran denkst, Barbara zu verlassen.«
    Ich seufze. »Anna, bitte nicht schon wieder dieses Thema. Wenn wir nur zwei Stunden miteinander haben, sollten wir uns nicht die Hälfte der Zeit streiten.«
    Jetzt habe ich sie verletzt. Es ist Anna immer leicht anzusehen, wenn sie gekränkt ist. Dann kommt ihre harte Seite, die Seite, die sich mit den grausamen Mechanismen des Gesetzes befasst, zum Vorschein, und ihr Gesicht wird starr.
    Schwer geprüft, strecke ich mich auf dem Bett aus und ziehe mir ein Kissen aufs Gesicht. Sie wird sich gleich wieder fangen und zu mir kommen. Doch vorläufig bin ich allein in einer Art Meditation und stelle mir die Frage, die sie schon so oft gestellt hat. Würde ich Anna heiraten, wenn das durch irgendeinen irrwitzigen Umstand plötzlich möglich würde? Sie ist zum Schreien komisch, hübsch anzuschauen, ein Mensch, den ich schätze und auf den ich nicht verzichten möchte. Aber ich war schon einmal vierunddreißig. Ich glaube kaum, dass ich zurück zu ihr auf die andere Seite der Brücke gehen könnte, die ich bereits überquert habe.
    Plötzlich wird mir etwas anderes so klar wie die Lösung zu einem mathematischen Problem, das ich vorher nicht enträtseln konnte. Auf einmal sehe ich die Erkenntnis, die ich im Zusammensein mit Anna gewonnen habe: Ich habe mich geirrt. Einen Fehler gemacht. Anna ist vielleicht nicht die

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