Der letzte Drache
Fernseher, der dezent neben dem Bildschirm einer Überwachungskamera platziert war, lief eine Wiederholung des Spitzentalents. Man sah eine spärlich bekleidete Schwarzhaarige, die mit einem Tier Kunststücke vorführte. Jetzt schien es Feuer zu speien. Das Tier war groß und beim zweiten Hinsehen ähnelte es einem Drachen. Sehr skurril. Ob sie eine Kuh verkleidet hatten? Der Jury schien es jedenfalls zu gefallen.
“Entschuldigen sie, wir kommen vom Ingenieurbüro Tonklang und würden gern in den großen Versammlungssaal. Wir sollen dort den Aufwand für den Einbau einer neuen Tonanlage schätzen.”
“Hä?” der Pförtner schien sie erst jetzt wahrzunehmen. Zumindest etwas.
Ella wiederholte ihre Geschichte.
“Aha. Ja, durch die Tür dann links und dann sind sie schon drin. Is auf.”
Er wendete sich wieder Getränk, Zeitung und Fernseher zu. Von wegen, Männer waren nicht multitaskingfähig.
Nach wenigen Schritten waren sie am Ziel. Hinter dieser Tür würden Sie das Pergament finden, das den Weg zu der Drachenhöhle wies.
“Dietrich von der Mark war der Herr des Geheimnisses. Seine Familie war auserkoren, schon vor Jahrhunderten und hütete den Zugang zu den Drachen. Die Drachen mussten vor den bösen Menschen geschützt werden, die nur ihren Tod, des Goldes und des Zugangs wegen wollten. Dietrich hütete das Geheimnis. Nur er kannte den Weg zur Höhle. Das Geheimnis wurde von Generation zu Generation weitergetragen. Doch die Zeiten waren gefährlich. Kriege und Krankheiten wüteten. Darum hatte Dietrich einen Mönch beauftragt, einen Plan zu malen. Ich bin dieser Mönch. Dieses eine Pergament wollte er an dem sichersten Ort, den er kannte verbergen. Eines Nachts drang er in den großen Sitzungssaal des Rathauses ein. Unter dem Erbsessel seiner Familie öffnete er den Holzboden und schuf eine kleine Kammer. In die legte er eine eiserne Kassette mit dem Pergament. Das Wappen seiner Familie ist ein Löwenkopf, doch in der unteren Ecke der Löwenmähne sieht man einen kleinen zweiköpfigen, geflügelten Drachen, der aus beiden Köpfen Feuer speit. Das Zeichen der Drachenbruderschaft.”
Das war der Text im Libro Dragensis gewesen und an diese Stelle musste Baldur nun denken als er die Tür öffnete. Der Stuhl sollte leicht zu finden sein. Sein Herz schlug schneller.
Doch dann der Schock: Hinter der Tür lag ein großer, leerer Saal. Die einzigen Stühle waren einfache Holzstühle im Design der 50er, die am Kopfende standen und zu Türmen gestapelt waren. Die weißen Wände wurden durch Wappen der Partnerstätte geziert, statt des Jahrhunderte alten schweren Holzdielenbodens sah man nur Linoleum. Schon vor vielen Jahrzehnten hatte man offenbart das wunderbare mittelalterliche Erbe verschandelt.
“Das war’s wohl.” Ella war niedergeschlagen.
“So finden wir das Pergament nie.” Aber Baldur war nicht nach Aufgeben zumute.
“Der Hohlraum muss unter dem Boden sein. Wenn sie damals einfach nur Linoleum draufgelegt haben, kann es sein, dass sie ihn nicht entdeckt haben. Das hätte ja sicherlich auch für einigen Aufruhr gesorgt, eine solche Geschichte ist mir aber nicht bekannt.”
“Du meinst, es ist noch hier? Dann müssen wir nur die richtige Stelle finden und dann das Linoleum entfernen.” Ellas Begeisterung war aufs Neue geweckt.
“Aber wie finden wir die Stelle? Der einzige Hinweis war der alte Stuhl mit dem Löwenwappen. Der ist wohl schon länger auf dem Müll.” Bei dem Gedanken, dass man vor einigen Jahrzehnten jahrhundertealte Möbel entsorgt hatte, nur um diese Scheußlichkeit hier zu kreieren, schwoll Baldur der Hals.
“Es gibt nur einen Weg, das Versteck zu finden. Es ist ein Hohlraum. Wir klopfen den Boden ab und wenn der Klopfton anders klingt, schauen wir nach. Du die linke Seite, ich die rechte.”
Die beiden ließen sich auf die Knie und krabbelten langsam und leise klopfend durch den Saal.
In dem Moment öffnete sich geräuschvoll die schwere Eingangstür zum großen Saal. Baldur und Ella erstarrten.
“Baldur. Hier steckst du.” Es war Jason. „Was macht ihr da? Habt ihr was verloren?“
“Jason, was machst du denn hier? Weißt du, Ella und ich haben gestern herausgefunden, dass wir beide auf Ethnotanz stehen, aber dafür braucht man viel Platz zum Üben, siehst du ja. Da haben wir gefragt, ob wir nicht mal den leeren Saal morgens nutzen dürfen.”
“Alles klar, Baldur.” Jason verdrehte die Augen.
“War ja auch ein heftiger Abend Gestern. Nur gut, dass ich
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