Der letzte Elf
elende Schurken... aber ich habe dich nicht aus den Augen gelassen, weißt du... ich wusste, weißt du... du bist es, die sie zu uns gelockt hat... es ist deine Schuld, nicht wahr...?«
Robi versuchte gar nicht zu widersprechen. Sie wusste, dass das Tracarnas Wut und die Heftigkeit ihrer Schläge nur noch steigern würde. Sie versuchte, sich zu schützen, so gut es ging. Es ging ihr so schlecht, dass Tracarnas Ohrfeigen wirklich das geringste Problem waren. Ihre Mutter und ihr Vater hatten sich zum Tode verurteilen lassen und sie zum Unglück verdammt, wegen eines armseligen Idioten. Der Traum, der sie begleitete, seitdem ihr Leben und das ihrer Familie zerstört worden waren, der Traum vom Drachen mit einem weiß gekleideten Prinzen darauf, war Wirklichkeit geworden. Dahergekommen war freilich ein Tölpel von einem Elfen in einem Hochzeitskleid, durchtränkt von Vogeldreck und sonstigen Flüssigkeiten, die man besser nicht näher erforschte, und hatte ihr ohnehin schon verheerendes Leben noch weiter belastet und erschwert.
Als Tracarna sich beruhigte, war Robi mit blauen Flecken übersät. Stramazzo war ebenfalls gekommen, und man beratschlagte, was zu tun sei. Er selbst würde nach Daligar gehen und die entsprechende Verstärkung für die Überführung der kleinen Hexe anfordern.
»Ja, Hexe...«, fügte er, zu Robi gewandt, hinzu, »genau das: Hexe. So nennt man bei uns die Freundinnen der Elfen...«
Dazu würde er einen halben Tag brauchen. Andererseits konnte er sein kostbares Leben nicht aufs Spiel setzen und sie selbst nach Daligar begleiten. Der Drache und der Elf würden wieder angreifen. Bestimmt hatten sie angegriffen, um sie zu befreien...
Gut, dachte Robi verbittert bei sich. Sie würde nach Daligar gebracht werden, in eine Gefängniszelle, später dann wahrscheinlich an den Galgen, sobald sie das Mindestalter dafür erreicht hatte, außer man würde sie schon jetzt für erwachsen genug ansehen. Auch der zweite Teil ihres Traums wurde also Wirklichkeit. Dank des Drachen und des Prinzen würde sie das Waisenhaus für immer verlassen.
Sie wurde zu dem Schilderhäuschen gebracht, wo man sie festkettete. Zwei Soldaten würden sie bewachen, in Erwartung mächtiger Verstärkung. Robi kauerte sich zusammen, den Kopf zwischen den Ellbogen, das Boot und die Puppe fest im Arm, und ließ die Zeit verstreichen, während ihr immer wieder dieselben Gedanken im Kopf herumgingen, wie ein Schwarm verrückt gewordener Krähen.
Die Zeit verging. Von Zeit zu Zeit fielen Robi die Augen zu vor Müdigkeit, aber kein Bild tauchte auf, außer manchmal eine kleine linke Hand mit ausgestreckten fünf Fingern. Stramazzo kam wieder, er führte eine ganze Garnison mit sich. Sie kamen sie holen. Man nahm ihr die Ketten ab und legte ihr leichtere an, die für den Marsch besser geeignet waren. Dann ließ man sie auf einen Esel steigen, für Robi war es das erste Mal, dass sie ritt. Aber sie war zu verzweifelt, um das zu würdigen. Es war ein trauriger und nebliger Tag, der die Herbstfarben dämpfte und stumpf machte.
Die anderen Waisenkinder standen still aufgereiht auf dem Platz vor dem alten Schafstall. Eine Hand erhob sich zum Gruß und blieb mit den gespreizten fünf Fingern in der Luft stehen. Tracarna brüllte etwas, aber das Händchen blieb beharrlich in der Luft, und endlich bemerkte Robi, dass das kein Gruß war: Cala zeigte ihre linke Hand mit allen fünf Fingern daran, heil und unversehrt.
Auch der Daumen, den sie sich vor zwei Jahren mit der Axt abgehackt hatte.
Robi schaute auf die Hände von Cala, die jetzt beide erhoben waren. Ihr blieb die Luft weg, einen Augenblick lang wurde ihr schwarz vor Augen. Endlich begriff sie. Ein mächtiges und über alle Maßen gütiges Wesen hatte ihren Weg gekreuzt, und sie hatte nichts anderes zu tun gewusst, als es zu treten und zu bespucken! Sie sah zu Cala hinüber, bis sie nicht mehr zu sehen war, während sich der Esel entfernte, eskortiert von einer Garnison Soldaten, die ausreichend gewesen wäre, um es mit einem ganzen Heer von Trollen aufzunehmen.
KAPITEL 15
Y orsch war verzweifelt. Er war ein Idiot gewesen, ein absoluter Idiot. Es ekelte ihn, wenn er daran dachte, wie blöd er gewesen war. Von einer abgrundtiefen, weltumspannenden, kosmischen, titanischen, zyklopischen, epischen, unermesslichen, felsenfesten, ozeanischen Blödheit, so groß und breit wie der Mond und ebenso unantastbar. Unheilbar. Nicht zu retten.
»Na ja, du bist halt ein bisschen töricht
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