Der letzte Engel (German Edition)
als hätte der Tag ihn herausgefordert.
Während Natascha von dem ersten Angriff der Bruderschaft erzählt, lässt der Zar seinen Monitor nicht aus den Augen und wartet, dass sich Alexei meldet und ihm verrät, was für Möglichkeiten es gibt, Erik ausfindig zu machen.
»Die Bruderschaft kommt immer im Morgengrauen«, spricht Gräfin Natascha weiter. »Das ist Strategie, meine liebe Mona, du kannst es durch die Jahrhunderte zurückverfolgen. Sie greifen zwischen drei und vier Uhr morgens an. Wir nennen es die Stunde des Wolfes. Es ist die Zeit, in der die meisten Menschen sterben und die meisten Menschen geboren werden. Zwischen Schlaf und Erwachen sind wir am verletzlichsten, weil die Seele nicht weiß, ob sie in den Traum oder in die Wirklichkeit gehört.«
»Mach ihr mal keine Angst«, sagt Pia.
»Ich mach dir doch keine Angst, oder?«, sagt Natascha.
Mona schüttelt den Kopf und gähnt. Natascha spricht weiter:
»Sie kamen vor dem Sonnenaufgang, so war es auch an diesem Morgen. Die Köchin saß verschlafen auf der Toilette und schaute durch das offene Fenster auf den anbrechenden Tag hinaus und traute ihren Augen nicht. Die Männer stiegen über die Mauer zur Villa hoch, nur einer von ihnen kam über die Auffahrt und stand für einen Moment reglos im Zwielicht. Sein Name war Waldemar Thorwald, er war einundzwanzig Jahre alt und leitete den Angriff. Er war wie die anderen Männer von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und hatte eine Kapuze auf dem Kopf. Er bewegte sich aber als Einziger mit der Zuversicht eines Jägers. Niemand wusste zu dem Zeitpunkt, dass sich Waldemar Thorwald vor ein paar Monaten als Gast bei uns in der Villa aufgehalten hatte. Yves Romain hatte ihn als Protokollant angestellt und jetzt kam der Mann als Krieger wieder. Die Familie war vollkommen unvorbereitet auf Spione, besonders auf Spione aus ihren eigenen Kreisen. Wir ahnten nicht einmal, dass wir Feinde hatten. Du siehst, wir waren sehr gutgläubig.«
»Warum hat die Köchin nicht um Hilfe gerufen?«, fragt Mona.
»Sie war erstarrt vor Angst. Sie sah Waldemar Thorwald auf die Villa zukommen, und er hielt eine Armbrust so selbstverständlich an seiner Seite, als wäre sie ein Teil seines Körpers. Die Bruderschaft hatte damals eine Vorliebe für Armbrüste. Pistolen und Gewehre waren zu der Zeit nicht so leicht zu handhaben. Eine Armbrust war leise und effektiv.«
»Es war eine Armbrust, die Jasmin getötet hat«, sagt Mona.
»Dann ist Lazar ihr Mörder gewesen«, meldet sich der Zar und beugt sich zur Seite und spuckt angewidert auf den Rasen. »Der Schweinehund hält an der Tradition fest, als würde er eines Tages einen verdammten Orden dafür bekommen, weil er noch immer wie im verschissenen Mittelalter herumläuft.«
»Kein Grund, so vor dem Mädchen zu reden«, sagt Pia.
»Was ist danach passiert?«, fragt Mona.
Natascha legt ihre Hand auf Monas und erzählt weiter.
»Die Köchin schob den Riegel vor und schwor sich, die Toilettentür erst wieder zu öffnen, wenn alles vorbei war. Dieser kleine Akt der Feigheit hat ihr das Leben gerettet. Nicht jeder hatte das Glück, an diesem Morgen auf dem Klo zu sitzen. Der erste Angriff der Bruderschaft erwischte die Familie aus dem Nichts. Wir waren vollkommen unvorbereitet, so wie ihr es vor drei Tagen gewesen seid, meine Liebe. Die Villa ging so schnell unter wie das Haus der Kormorane. Es war ein Wunder, dass wir an diesem Tag nicht alle gestorben sind.«
»Jetzt sei mal nicht so dramatisch«, sagt der Zar.
»Sie ist nicht dramatisch«, schaltet sich Pia ein. »Sie ist realistisch.«
»Realistisch wäre es gewesen, wenn ihr vorbereitet gewesen wäret.«
»Als wenn du was geahnt hättest«.
Der Zar lächelt, die Gräfinnen wissen, warum er lächelt.
»Warum lächelst du?«, fragt Mona.
»Diese Frage werden dir die Gräfinnen beantworten«, erwidert der Zar. »Ich muss mich wieder hinlegen, bevor wir uns auf die Suche nach den Flügeln machen.«
Der Zar steht auf, küsst Mona auf den Kopf und verschwindet nach oben.
»Er mag dich«, sagt Pia überrascht.
»Warum hat er gelächelt?«, fragt Mona.
»Weil er als Einziger vorbereitet war«, antwortet Natascha.
Drei Wissenschaftler aus Italien befanden sich an diesem Morgen in der Bibliothek und tranken Kaffee. Sie besprachen die Planung der neuen Versuchsreihe, als die Tür aufgetreten wurde und zwei Männer eintraten. Sie trugen schwere Umhänge und hatten die Kapuzen hochgeschlagen, sodass ihre Gesichter wie fahle Ovale
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