Der letzte Engel (German Edition)
lachte los. Das war ja wohl das Durchgeknallteste, was ich je erlebt hatte. Ich konnte nicht aufhören zu lachen und klang dabei wie das letzte Opfer in einem Horrorfilm, der damit endet, dass das letzte Opfer durchdreht und eine einsame Straße runterläuft.
Ich verstand nicht, was hier passierte.
Ich wartete auf den Abspann, ich wartete darauf, dass ich aus diesem Albtraum erwachte und lässig aus dem Bett stieg. Mein Lachen endete abrupt. Die Erkenntnis traf mich mit voller Wucht. Ich drückte mir eine Hand aufs Herz.
Nichts .
Ich suchte meinen Puls.
Nichts .
Ich ging nahe an den Spiegel heran und betrachtete meine Augen.
sorry für die schlechte nachricht
Ich zog ein Lid herunter.
aber wenn du aufwachst, wirst du tot sein
»Tot?«, hauchte ich, und mein Atem beschlug den Spiegel nicht.
DAS MÄDCHEN
D ie Männer kamen im Morgengrauen. Sie stiegen über die Klippen zum Haus hoch, nur einer von ihnen nahm die Küstenstraße. Sein Name war Dimitri Lazar und er leitete die Jagd seit vier Jahrzehnten. Lazar war einundsechzig Jahre alt und bewegte sich wie ein Sportler, der täglich trainiert. Er ging betont aufrecht und hielt die Armbrust so selbstverständlich an seiner Seite, als wäre sie ein Teil seines Körpers.
Links von ihm breitete sich die karge irische Felslandschaft aus, rechts lagen die Klippen und eine aufgehende Sonne, die aussah, als hätte sie die Nacht durchgemacht und wäre zu erschöpft, um sich voll und ganz aus dem Meer zu erheben. Jeder andere hätte einen Moment verweilt und sich das angeschaut, Lazar hatte nur Augen für das Haus und die dunklen Fenster. Er suchte nach einem Zeichen, dass ihre Ankunft bemerkt worden war.
Kein Rauch stieg aus dem Kamin auf, es war zu früh, die Fenster blieben schwarz.
Am Vorabend hatte Lazar den Lageplan mit seinen Söldnern ein letztes Mal studiert – zwei Stockwerke, eine Treppe, ein Dachboden, ein Keller und zehn Zimmer. Die Raumaufteilung war ihnen vertraut, es war nicht das erste Haus, das sie stürmten, dennoch wünschte sich Lazar, sie hätten mehr Zeit für die Vorbereitung gehabt. Ein Tag reichte einfach nicht. Dabei war es der Keller, der Lazar am meisten Sorgen machte. Sie würden im Erdgeschoss anfangen und sich hocharbeiten.
Der Keller kam immer zum Schluss.
Lazar brauchte ein paar Sekunden, um die Haustür aufzubrechen. Danach stand er im Vorraum und lauschte in die Stille. Die Armbrust lag schwer in seiner Hand. Lazar spürte den Herzschlag im Hals. Er war ausgelaugt von der Jagd, hätte es aber nie zugegeben.
Das Haus blieb still.
Lazar stellte die Funkverbindung her und gab den Befehl.
Lautlos traten seine Männer ein.
Die letzten zwei Jahrhunderte hatte sich im Haus der Kormorane kaum etwas verändert. Bücher und Kleidung kamen per Post, die Lebensmittel wurden zweimal in der Woche geliefert. Die Bewohner waren nicht rückständig. Sie hatten Fernsehen und Internet. Sie lebten in der Gegenwart, ohne ein Teil von ihr zu sein. Zeit hatte hier eine andere Bedeutung. Wer die Zeit akzeptiert, dem ist die Ungeduld fremd, lautete das eingemeißelte Motto über dem Eingang. Geduld war ihre oberste Pflicht. Sie bewahrten das Erbe, sie boten ihm Schutz, ihre Zahl war immer dieselbe.
Acht Mädchen, acht Gouvernanten und eine Hausherrin.
Sobald die Mädchen neunzehn wurden, nahmen sie den Platz der Gouvernanten ein. Es gab ein Fest, es wurde Abschied genommen und acht neue Kinder kamen dazu. Kein Mädchen im Haus der Kormorane wusste, wohin die Gouvernanten danach verschwanden, so wie auch keine von ihnen wusste, woher die Säuglinge kamen.
Die Mädchen teilten sich einen Schlafraum und hatten tagsüber die Zimmer des Hauses zur Verfügung. Die Gouvernanten waren rund um die Uhr zur Stelle und unterrichteten sie. Niemand wollte, dass die Mädchen weltfremd aufwuchsen, und so wurden ihnen keine Informationen vorenthalten.
Wenn jemand nachfragte, bekam er zu hören, es sei ein Waisenhaus. Aber kaum jemand fragte nach oder wusste, wie sich das Haus auf den Klippen finanzierte. Es lag am äußersten Ende einer Landzunge und blieb von Touristen unberührt. Der Landstrich galt als unwirtlich, nicht einmal Schafe verirrten sich hierher. Es gab keine Anlegestellen, es gab nur die Klippen und das Meer.
Das Haus der Kormorane war ein sicherer Ort für das Erbe.
Lazars Söldner arbeiteten sich vom Erdgeschoss hoch. Sie sprachen kein Wort miteinander, während sie von Zimmer zu Zimmer gingen. Fünf der Mädchen starben an der Seite ihrer
Weitere Kostenlose Bücher