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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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bereits in Travemünde. Danach folgte eine graue Perlenkette aus Tankstellen und Parkplätzen, die immer tiefer durch Europa führten. Wenn Jannoula nicht schlief, was sie die meiste Zeit tat, weil der summende Asphalt sie in einen Zustand prähistorischer Geborgenheit versetzte, hielten sie an, aßen und spielten auf der Rückbank. Mittlerweile roch das Auto nach säuerlichen Äpfeln und Windeln. Einmal breitete Jannis eine Decke auf einer feuchten Rasenfläche hinter einer Raststätte aus, wo ein paar Kinderschaukeln sich steif und stoisch bewegten und die Lastwagen tiefe Seufzer von sich gaben, ehe die Fahrer herunter sprangen und die Tür zuschlugen, ohne sie abzuschließen. Während die Fugen in der Autobahn im Blut weiterpochten und Jannoula auf Jannis umherkrabbelte wie eine Astronautin, schlummerte er einige dringend benötigte Minuten. Und am dritten Tag, nach einer mückenlosen Nacht in einer Pension in Spielfeld, überquerten sie die jugoslawische Grenze. Im selben Moment begann es zu regnen.
    Ab und zu hielt Jannis an, um den Kinderwagen zu kontrollieren, den er, in eine grau gesprenkelte Plane gehüllt, auf dem Autodach festgezurrt hatte. Wenn er die Spanngummis testete, spritzte es von Schmutzwasser und toten Insekten. Es dauerte jedesmal eine Stunde, bis sein Hemd wieder trocken war. Er roch nicht mehr nach Rasierwasser und Babynahrung. Manchmal schaltete er das Radio ein und lauschte knisternder Musik, die von staatstragenden Reden und unverständlichen Verkehrsmeldungen unterbrochen wurde. Der Regen wollte einfach nicht aufhören. In einer trommelnden Metallhülle eingeschlossen bewegten sie sich auf der rechten Spur, zwischen Bussen und Lastwagen, die trotz der Schlaglöcher im Asphalt würdig und unerschütterlich in einer langen, stinkenden Karawane fuhren. Linkerhand schwärmten PKW s vorbei wie Fliegen, in die Spuren hinein und wieder heraus – ein paar leise und effektive Wagen aus Deutschland, unzählige einheimische mit hysterischen Umdrehungszahlen und Plastikkarosserien. Es klatschte um die Reifen, und die Rücklichter der vor ihm fahrenden lösten sich umgehend in dem Wasser auf, das über die Scheibe trieb. Ein flinkes Wedeln mit dem Scheibenwischer machte die Herkunft der Fahrzeuge deutlich, bevor sie sich wieder in fließende Formen verwandelten. Einmal entdeckte er ein schwedisches Nummernschild.
    Jannis dachte: Jugoslawien ist ein sterbenslangweiliges Land. Er dachte auch: Ich wette, sobald wir dieses sterbenslangweilige Land verlassen, hört es auf zu regnen.
    Ihm tat immer noch der Arm weh, so dass er meistens nur mit der Poljot-geschmückten Hand auf dem Lenkrad fuhr. Er hatte damit gerechnet, eine Nacht in Kauders patrída zu verbringen, bevor er die griechische Grenze erreichte. Aber angesichts einer Geschwindigkeit von siebzig Kilometern in der Stunde und eines Dauerregens, der eher stärker als schwächer zu werden schien, war er sich nicht mehr so sicher. Obwohl er die Bäume und Häuser in dem Dunst aus grauen und braunen Farben rechts von der Straße näherkommen und wieder verschwinden sehen konnte, wo übrigens auch eigentümliche Blechrohre verliefen und manchmal Bögen über der Straße bildeten, hatte er das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen. Niemals hätte er gedacht, dass ein Land aus so vielen toten Äckern und stinkenden Fabriken bestehen konnte. Südlich von Maribor vermengte sich seine Vorfreude, die ihn seit den klaren, kühlen Farben am Fährhafen in Norddeutschland getragen und ihn veranlasst hatte, am ersten Tag achtzehn Stunden zu fahren, weil seine Tochter ohnehin schlief, und die sie nach der zeitweise noch üppigen Vegetation in Österreich in dieses Reich aus petrochemischer Industrie und Braunkohlenfeuerung geführt hatte – südlich von Maribor vermengte sich seine Vorfreude daher mit Reizbarkeit. Die Hose scheuerte, er hatte die Äpfel und die Knäckebrotscheiben mit ranziger Butter gründlich satt, er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem klebrigen Lenker. Er konnte sich nicht einmal mehr aufraffen, sich die Freude seiner Großmutter vorzustellen, wenn er ihr von dem neuen Badehaus erzählen würde – zumindest nicht so, wie sie es verdient hätte.
    Südlich von Maribor, sagten wir. Das ist eine halbe Stunde nördlich jener Tragödie, die wir in mehr als hundert Tableaus vor uns hergeschoben haben, der wir jetzt jedoch nicht mehr ausweichen können. (Eine Wand aus Karteikarten bietet wenig Schutz gegen mehrere Tonnen heranschießendes

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