Der letzte Karpatenwolf
»Was sie Tränen erzeugen kann!« sagte der alte Patrascu zu seinen Freunden und lachte. »Nach der Hochzeit muß ich mein Täubchen wiegen. Sie muß sich fünf Pfündchen weggeweint haben!«
Er hatte auf der Rückfahrt den Kümmel probiert, ihn für gut befunden und zur Gewöhnung an den Geschmack die halbe Flasche bereits allein getrunken. So war er schon in Stimmung, und als der Pope mit dem ersten Segen begann, sang er so laut, daß der Pope diskret abwinkte und später in seine Predigt einflocht, Gott sei nicht schwerhörig.
Unterdessen wurden vor dem Hause der Patrascus die Bänke und Tische aufgebaut. Das Fleisch briet, die Kohlballen bruzzelten, die Schüsseln mit den Salaten standen fertig an den Fenstern. Musikanten warteten auf das Erscheinen der jungen Eheleute, und in einem weiten Kreis standen alle Kinder des Dorfes um die Festtafeln und warteten darauf, ihr Stück Schmalzkuchen zu bekommen.
Nicht eingeladen waren sechs Fotografen. Sie waren aus Bukarest gekommen, von den großen Zeitungen und Illustrierten, und hatten den Auftrag, diese Bauernhochzeit in eindringlichen Bildern festzuhalten. Warum sie das mußten, konnte keiner sagen. Sie hatten den Auftrag bekommen ohne Kommentare. Mit sauren Mienen waren sie abgefahren. Eine Bauernhochzeit fotografieren. Als Starfotograf! Es war fast eine Beleidigung.
So standen sie mit ernsten Mienen vor der Kirche und knipsten, als Michael und Sonja über den Blütenteppich wieder hinauskamen und über die Straße zum Haus der Patrascus zogen.
»Sieht süß aus, die Kleine«, meinte einer der Fotografen. »Aber was der Chef mit ihr will? Vielleicht Illustrationen zu einem Artikel: ›Der gesunde Bauernstand in den Karpaten‹?«
Michael schielte zu ihnen hinüber. Irgendwie spürte er die Gefahr, die von ihnen ausging. Sie gehörten nicht hierhin, irgend jemand hatte sie geschickt. Aber wer? Und warum? Wen interessiert eine Hochzeit in Tanescu?
Die Musik der Bauernkapelle lenkte ihn ab. Der Hochzeitsreigen begann. Sonja führte ihn an … sie nahm Michael an der Hand und führte ihn hinüber zu dem Besitz der Patrascus. Mit dem ersten Schritt auf ihren Grund hielt sie an und reichte ihre Lippen Michael entgegen. Er küßte sie.
Somit gehört jetzt alles dir, sollte es heißen. Alles lege ich in deine Hand. Mein Leben, mein Eigentum, meine bisherige Welt. Du allein bist nur noch Herr –
Michael verstand es. Und es tat ihm weh, als er sie küßte und Besitz nahm von allem, was ihr gehörte.
Denn er dachte an Deutschland.
Drei Tage später erschienen die in Tanescu gemachten Fotos in der großen rumänischen Illustrierten. Es war ein Bildbericht über das glückliche Leben der Bauern, das dank der sowjetischen Hilfe vom Druck der Großgrundbesitzer befreit worden war. »Sogar ein deutscher Bauer blieb in Tanescu, weil er wörtlich sagte: ›Hier in Rumänien ist meine neue Heimat … nichts lockt mich nach Deutschland zurück!‹ Er durfte bleiben, eine Rumänin heiraten, und ist der Beweis, wie fortschrittlich es sich leben läßt in unserem kommunistischen Staat.« So schrieb die Illustrierte … und es wurde ein Bumerang, der schnell in die Redaktion und dann ins Ministerium zurückkam.
Der Suchdienst des Internationalen Roten Kreuzes sah auch dieses Foto. Man blätterte die Suchanzeigen vermißter deutscher Soldaten in Rumänien durch und fand das Bild des Michael Peters. Ein Jungengesicht damals … aber ohne Zweifel war er es, der jetzt in Rumänien geheiratet hatte und ein guter Kommunist geworden sein sollte.
Die Anfrage erregte Mißbehagen. Bukarest fragte bei Jon Lupescu nach. Lupescu bestätigte mit dunklen Ahnungen, daß besagter Neu-Rumäne der gesuchte Michael Peters sei. »Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß er nach Deutschland zurückkehren will. Wenn die Genossen in Bukarest solche Idioten sind und solche verrückten Artikel schreiben, sollen sie die eingebrockte Suppe auch selbst ausfressen!« schrieb Lupescu mutig zurück.
Vierzehn Tage später erschien ein Kommissar aus Bukarest in Tanescu. Sein modernes Auto erregte Aufsehen, seine Uniform war Maßarbeit, sein Auftreten arrogant und hochmütig. Er sah die Bauern wie Wanzen an und betrat das Haus der Patrascus, als sei er von der Seuchenbekämpfung.
»Wer ist dieser Michael Peters?« fragte er laut, als er im Zimmer stand und in die Runde blickte. Der alte Patrascu spuckte einen Tabakkrümel aus und hustete. Seit der Hochzeit hatte er es mit der Lunge. Bis zum Morgen hatte er
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