Der letzte Karpatenwolf
auf den Kutschbock kletterte und die Zügel ergriff, hustend, sich schüttelnd, den Tod in den Augen, aber nicht weichend vor der letzten Aufgabe seines Lebens, seine Tochter hinauszufahren in ein neues Leben.
Das ganze Dorf Tanescu zog mit. Es zog mit bunten Fahnen und an Stöcken gebundenen Bändern dem Wagen nach, die Musikanten spielten, die Jungen und Mädchen tanzten dem Gefährt voraus … es war wie beim Osterfest oder einer großen Hochzeit. Am Dorfausgang stand der Pope. Der Wagen hielt, und der Priester segnete Sonja und Michael und überreichte ihnen ein goldenes, mit Halbedelsteinen besetztes Kreuz.
»Daß ihr die Heimat nie vergeßt!« sagte der Pope.
Sonja küßte das Kreuz und legte es in den Schoß. Der alte Patrascu schluckte und wischte sich über die Augen.
»Hei!« schrie er den Pferden zu. »Man wartet nicht auf uns. Hei – lauft ihr Schinder! Rennt, ihr Mißgeburten! Hei! Hei!«
Der Wagen schoß rappelnd auf die Hauptstraße hinaus. Noch lange winkten die Leute von Tanescu dem im Staub entschwindenden Wagen nach … so lange, bis selbst die Staubwolke sich verzogen hatte.
Noch einmal sah Sonja auf die Kirchturmspitze. Sie war das letzte, was sie von Tanescu sah. Dahinter stiegen die Berge an … die Wälder, dunkel und geheimnisvoll … die Bergweiden, wo sie vor sechzehn Jahren zum erstenmal einem jungen Soldaten gegenüberstand, der mit eiternden Füßen nach einem Arzt schrie. Vor sechzehn Jahren!
Das Leben eines Menschen ist so schnell, fast wie das Umkreisen eines Uhrzeigers … Man begreift es einfach nicht.
»Mihai«, sagte Sonja leise und tastete nach seiner Hand.
»Ja, Sonja?«
»Werden wir Tanescu wiedersehen?«
»Bestimmt. Die Welt wird nicht immer so bleiben, wie sie jetzt ist. Sie werden alle aus dem Krieg und dem millionenfachen Tod lernen.«
»Werden sie das wirklich?«
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