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Der letzte Massai

Der letzte Massai

Titel: Der letzte Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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entkommen und es dem Jungen in dem Baum zu überlassen, den Löwen abzulenken. Aber als er genauer hinsah, wurde ihm klar, dass der Junge ein Fremder war.
    Ihre Blicke begegneten sich, doch anstatt erfreut dreinzuschauen, weil jemand Hilfe holen konnte, machte der ältere Junge ein langes Gesicht. Parsaloi vermutete, dass die Jungen im Dorf nichts von seiner Blamage erfahren sollten. Da er nur zu gut wusste, wie es sich anfühlte, von Gleichaltrigen verhöhnt zu werden, entschied er sich, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um dem Jungen zu helfen.
    Er kletterte vorsichtig von seinem Baum herunter und suchte sich drei glatte Steine am Ufer, die schwer genug waren, dem Löwen Schmerzen zuzufügen, aber leicht genug, um sie präzise über eine weitere Entfernung werfen zu können. Dann suchte er sich einen toten Ast, zog seine Kleidung aus und band sie daran fest, so dass sie wie zwei flatternde rote Fahnen aussah.
    Der Junge schien Parsalois Absicht zu begreifen, denn er vollführte eine Geste, die erkennen ließ, dass er es für ein großes Risiko hielt. Dieser Gedanke war Parsaloi auch schon gekommen, aber er hatte sich nun einmal der Herausforderung stellen wollen und konnte es sich jetzt nicht leisten, Feigheit zu zeigen.
    Er griff nach dem besten Stein, wog ihn versuchsweise in der Hand, ehe er ihn mit ganzer Kraft nach dem Löwen warf. Er erwischte ihn hinter dem Ohr, brachte ihn dazu, herumzuwirbeln und ein erstauntes Knurren auszustoßen. Der Löwe hob aggressiv den Schwanz und schüttelte seine prächtige Mähne, um seine Überlegenheit zur Schau zu stellen. Parsaloi warf den zweiten Stein, der mit einem dumpfen Aufschlag über der rechten Augenbraue des Tieres auftraf und eine blutige Wunde hinterließ. Im selben Moment hob er seine behelfsmäßige Fahnenstange, schwenkte sie über seinem Kopf und stieß aus voller Lunge einen wilden, kreischenden Schrei aus. Der Junge im Baum stimmte mit ein, und nach einem Moment schmachvoller Verwirrung senkte der Löwe seinen Schwanz und trottete mit einem verachtungsvollen Fauchen davon.
    Parsaloi warf sich stolz in die Brust. Es gab so wenige Gelegenheiten, bei denen er seine Widersacher übertrumpfte, dass in solchen Augenblicken Bescheidenheit fehl am Platze war. Er schlenderte zu dem Baum hinüber und blickte zu dem älteren Jungen hinauf.
    »Ich habe gesehen, wie dich die Hirtenjungen verfolgt haben«, sagte der Junge. »Was hast du angestellt?«
    »Nichts«, erwiderte Parsaloi.
    »Warum bist du dann weggelaufen?«
    »Weil sie mich verfolgt haben.«
    Es herrschte einen Moment Schweigen.
    »Wo hast du gelernt, so gut zu werfen?«
    »Ich bleibe meist für mich. Da habe ich Zeit, zu üben.«
    »Du wirfst sehr gut für dein Alter«, sagte der Junge und nickte anerkennend. »Aber es sieht ganz schön albern aus, wenn du nackt gegen einen Löwen kämpfst.«
    Parsaloi starrte zu ihm hinauf. »Für jemanden, der in einem Baum sitzt, nimmst du den Mund ganz schön voll.«
    Der Junge machte ein finsteres Gesicht, brach dann aber in schallendes Lachen aus.
    Als sie zusammen zum
Enkang
gingen, erzählte er ihm, dass sein Name Nkapilil Ole Mantira war und er Parsalois Dorf mit seiner Familie besuchte, um an der Hochzeit seiner Schwester teilzunehmen. Er würde einige Zeit bei seiner Schwester und ihrem Ehemann bleiben, um ihnen mit dem Vieh zu helfen.
    Parsaloi hatte die Ankunft der Gruppe beobachtet, aber Abstand gehalten. Er hatte schon genug Schwierigkeiten mit den Kindern in seinem
Enkang
und wollte das Schicksal nicht noch weiter herausfordern und sich mit einem neuen Jungen bekannt machen. Auch wenn man den Altersunterschied von ein paar Jahren in Betracht zog, war der Junge ziemlich groß und breitschultrig. Im Vergleich zu ihm kam sich Parsaloi mit seiner zarten Gestalt und den knochigen Armen und Beinen wie ein Kind vor.
    Als sie am Dornbuschtor des Dorfes ankamen, war die Sonne verschwunden.
    »Ich habe mich noch nicht bei dir bedankt, dass du den Löwen vertrieben hast«, sagte Nkapilil.
    »Das musst du auch nicht. Ein Massai-Bruder sollte dem anderen helfen.«
    »Jemand sollte deine Altersgenossen einmal daran erinnern.«
    Parsaloi lächelte grimmig. »Die sehen mich nicht als Bruder.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich … anders bin.«
    »Inwiefern?«
    Parsaloi zögerte, war sich nicht sicher, ob er dem Neuankömmling seine Herkunft verraten sollte. Sie hatten gemeinsam ein Abenteuer erlebt und gelacht. Dies waren die wesentlichen Bestandteile einer Freundschaft.

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