Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
hat mir erzählt, was für ein Mann sein Herr ist und …«
»Singt nur alle ein Loblied auf den Mauren«, stieß Roland hervor.
»Die Männer singen auch dein Loblied, Herr«, sagte der Decanus leise. »Du hörst es nur nicht.«
BURG RONCEVAUX
Arima hielt sich im Burghof auf, als die Torwächter einen Reiter ankündigten. Es war früher Morgen, aber sie hatte nicht schlafen können. Sie hatte seit Wochen nicht richtig schlafen können. So wie ihr zumute war, musste es einem Krieger gehen, der einen katastrophalen Angriff des Feindes überlebt hatte und nun geschockt und verwirrt und seiner Selbstsicherheit beraubt versuchte, sich darauf einzustellen, dass der Kampf weiterging.
Afdza war nach Rolands Weggang auf Roncevaux geblieben. Aber ein Misston hatte sich eingeschlichen und nicht mehr vertreiben lassen. Manchmal hatte sie das Gefühl gehabt, Afdzas Gedanken lesen zu können, und was sie dort gesehen hatte, war das Gleiche gewesen, das auch ihr Denken und Fühlen beherrschte: Sie hatten einen Verrat begangen. Es war zum Teil ein Verrat an Roland, dem Arima von Rechts wegen gehörte und der ein mehr als großes Herz und noch größeren Mut besessen hatte, seine Freundschaft zu Afdza zu erneuern, als die Mauren mit Schimpf und Schande aus Patris Brunna abgezogen waren. Es war ein Verrat an Arimas Treue zu König Karl. Es war ein Verrat an Afdzas Vorstellungen von Moral und Anstand. Zum größten Teil aber war es ein Verrat an ihrer beider Liebe.
Nicht weil Arima eine Nacht in Afdzas Armen geschlafen hatte, so unberührt, als sei sie seine Schwester. Nicht weil Afdza an jenem fatalen Morgen Roland niedergerungen hatte, anstatt zu versuchen, die Situation zu erklären.
Der Verrat bestand darin, dass sie beide nach Rolands Auftauchen nicht mehr wagten, den letzten Schritt zu gehen und ihre Liebe zu erfüllen. Arima konnte es jede Sekunde in Afdzas Gesicht lesen, wie sehr er sich danach sehnte, und auch sie begehrte so sehr danach, dass sie sich in den Nächten, in denen Afdza auf der Burg weilte, ohne in ihre Kammer zu treten, schlaflos und sehnsüchtig auf dem Lager wälzte. Aber keiner von ihnen wagte, auf den anderen zuzugehen, beide warteten auf ein Zeichen des anderen – zu lange. Zur Liebe gehörte das Vertrauen, dass das, was das Herz befahl, das Richtige sei, und der Mut, seinem Ruf zu folgen. Sie hatten nicht auf ihn gehört und dadurch ihre Liebe verraten.
Dann hatte sich Afdza von ihr verabschiedet. Seine Maurenkrieger waren bereits außerhalb des Tors von Roncevaux versammelt. Afdza hatte sich auf den Boden gekniet und vor Arima verbeugt – für einen Augenblick hatte sie befürchtet, dies könne ihr Abschied sein: eine Verbeugung des Kriegers vor der Herrin, der er kurzzeitig gedient hatte, weiter nichts. Doch dann war Afdza regungslos in dieser Stellung verharrt, bis Arima ihn schließlich verwirrt gefragt hatte, was los sei.
»Wenn ich mich aufrichte und dich ansehe, kann ich dich nicht mehr verlassen«, hatte Afdza geflüstert.
Arima war vor ihm auf die Knie gesunken. Ihre Umarmung war so innig gewesen, ihr Kuss so voller Hunger und Verzweiflung, dass er ihr den Atem genommen hatte. In ihrem Inneren überwältigte Lust für einen kurzen Moment die Trauer über seinen Abschied. Wenn die Krieger nicht schon draußen gewartet hätten, dann hätte Afdza – das war ihr in diesem Moment klar – sie in ihre Kammer getragen, und sie hätten sich geliebt, bis der Himmel auf die Erde stürzte und die Berge verbrannten. Und mit einem Mal verstand sie jetzt, dass Afdza allein aus diesem Grund mit seiner Verabschiedung gewartet hatte, bis die Krieger Aufstellung genommen hatten. Er blickte ihr noch einmal tief in die Augen, dann richtete er sich auf, schritt durch das Tor, schwang sich auf sein Pferd und ritt mit seinen Männern davon – der anständigste Mann, den sie kannte, ihr Mann, ihr Seelengefährte, der Mann, den sie nun endgültig nie wiedersehen würde.
Abu Taur war in Roncevaux zurückgeblieben. Der Maure, der weder sterben noch wirklich gesunden konnte, an dem nicht mehr das Fieber fraß, sondern die Erkenntnis der eigenen Niederlage und der eigenen Treulosigkeit, verstand nicht, warum Afdza Asdaq ihn hatte leben lassen. Afdza hatte es Arima überlassen, was mit dem Mann geschehen sollte. Arima hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn töten zu lassen, obwohl ihr vollkommen klar war, welche Schuld er an der Tragödie in Roncevaux trug. Deshalb ließ sie ihn von ihren Knechten in
Weitere Kostenlose Bücher