Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
winkte ab. »Meinen Segen hast du! Ich bin die letzten Wochen von genügend Gebein umgeben gewesen, um die Vorstellung, dass noch viel mehr Knochen auf den Schlachtfeldern dieses Feldzugs herumliegen könnten, abstoßend zu finden. Ich habe gehört, dass die Mauren – unter Führung unseres Freundes Afdza Asdaq – sich den Franken stellen wollen, und dass die Franken – unter Führung unseres anderen Freundes Roland – sich vorgenommen haben, Afdzas Heer zu vernichten. Das wird aber nicht geschehen. Was geschehen wird, ist, dass sie sich beide vernichten. Wenn die Franken unterliegen, werden die Mauren sie auf der Flucht zurück nach Norden einzeln zur Strecke bringen. Wenn sie gewinnen, werden sie so geschwächt sein, dass sie spätestens beim Versuch, Medina Barshaluna zu belagern, scheitern und umkommen. Um das Heer Karls zu retten, gibt es nur eine Möglichkeit: ihm die erste Niederlage seines Lebens zuzufügen.« Er kratzte sich am Kopf. »Es gibt schlechtere Möglichkeiten, die Treue zu einem großzügigen Herrn zu halten, als ihn zu retten. Auch wenn er wohl nicht dankbar dafür sein wird, wenn ihm aufgeht, dass alles Lug und Trug war. Ach, herrje … Und ich habe davon geträumt, eines Tages mit Karls Unterstützung die Schule in Ravenna zu leiten!«
»Zu mir würdest du jetzt sagen: Du jammerst wie ein Weib«, sagte Chlodwig zu Arima.
»Ein Gelehrter hat die Pflicht zu jammern, wenn er mit seinen Argumenten am Ende ist«, erklärte Ealhwine würdevoll.
»Du wirst Karl verständigen?«, fragte Arima.
»Was bleibt mir anderes übrig.«
»Danke«, sagte Arima einfach. Dann, weniger aus Interesse, sondern weil sie höflich sein wollte, fragte sie: »Was steht in all diesen Schriftrollen?«
Ealhwines Verhalten änderte sich übergangslos von komischer Resignation zu Begeisterung. »Das glaubst du nicht!«, sprudelte er hervor. »Seit es diese Klause hier gibt, haben die Mönche alle Bewegungen aufgezeichnet, die vom Pass kamen oder über den Pass gingen. Es ist eine Art Chronik. Und die Kerle haben sogar versucht, festzuhalten, wenn sie über eine Reisegesellschaft irgendwelche Nachrichten erhielten. Zum Beispiel …« Er kramte in den Regalen.
»Hast du etwa auch etwas über mich in den Papieren gefunden?«
»Deine betrüblich wenigen Besuche an diesem Ort des Glaubens und der stillen Gelehrsamkeit sind alle verzeichnet. Es ist eine der kleineren Schriftrollen, wenn ich das so sagen darf. Aber das meine ich nicht …« Ealhwine sah sich um und schnappte sich dann eine Rolle, die Chlodwig studiert hatte. Mit einem abschätzigen Seitenblick auf den Sachsen drehte er sie demonstrativ so herum, dass die Schrift nicht mehr auf dem Kopf stand. »Schau her. Im Sommer 764 haben sie die Mission eines fränkischen Comes festgehalten, der mit einer kleinen Schar Krieger und Schreibern über den Pass gekommen ist, um mit den Mauren Bündnisverhandlungen zu führen.«
»Die Mission von Milan d’Otun!«, rief Arima. »Rolands Vater! Der mit Suleiman ibn al-Arabi verhandeln sollte und von den Kriegern des Emirs von Qurtuba abgefangen und getötet worden ist!«
Chlodwig kam um den Tisch herum und spähte Ealhwine über die Schulter. »Davon habe ich auch gehört«, sagte er interessiert. »Nur ein einziger Krieger aus der Gesandtschaft überlebte – der Mann, der bei der Reichsversammlung das Amt des Paladins auf seinen Sohn übertragen hat …«
»Piligrim de Vienne«, sagte Arima. »Sein Sohn ist Rolands bester Freund. Piligrim wurde mit einer Botschaft zurückgeschickt und ist deshalb dem Überfall entgangen.«
Ealhwine zögerte, dann legte er die Schriftrolle auf den Tisch. Vorsichtig beschwerte er sie mit Steinen, damit sie sich nicht wieder aufrollte. »Ich glaube, dass außer uns kein Mensch weiß, dass diese Aufzeichnung existiert«, sagte er. »Das ist, was ich dir vorhin zeigen wollte und weshalb ich über dein Hiersein froh bin. Ich weiß, wie nah Roland und Afdza Asdaq deinem Herzen sind. Jemand sollte diese Geschichte kennen – jemand, der dann entscheiden kann, ob und wem er sie weitererzählt.«
Ealhwine trat zurück, und Arima machte sich nach einem verwirrten Blick auf den Gelehrten an die Lektüre. Die Buchstaben waren hastig hingekritzelt, aber lesbar – trotzdem verschwammen sie ihr schon nach wenigen Zeilen vor den Augen. Ungläubig folgte sie der Geschichte, die sie mit dürren Worten erzählten … ungläubig und mit steigendem Entsetzen. Die Mönche hatten nicht geahnt,
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