Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
und verneigte sich. Es sah unbeholfen aus, weil ihm der rechte Arm bis zur Schulter hinauf fehlte. Die Mönche hatten eine weitere Amputation vornehmen müssen, um Abu Taur zu retten. Wenn man so wollte, hatte er mit seinem eigenen Fleisch und Blut für seinen Verrat bezahlt, von den Schmerzen gar nicht zu sprechen.
»Geht es dir gut?«, zwang Arima sich zu sagen.
Abu Taur nickte. »Man hört, dass Iruña gefallen sein soll«, sagte er. »Viele geflohene vasconische Krieger sollen sich in die Berge zurückgezogen haben.«
»Schon möglich«, entgegnete Arima. Sie erkannte den Versuch Abu Taurs, den Graben zwischen ihnen irgendwie zu überwinden, aber sie hatte weder die Zeit noch die Lust, darauf näher einzugehen. »Ich suche Ealhwine.«
»Ich bringe dich zu ihm, Herrin.«
Arima deutete auf Chlodwig. »Ich habe schon einen Beschützer.«
Abu Taur nickte, dann deutete er auf ein kleines Gebäude, das direkt an die Klausur angebaut war. »Er ist in der Bibliothek.«
»Was denn für eine Bibliothek?«, fragte Arima verblüfft.
Abu Taur lächelte. »Gerade, wenn man anfängt, den blinden Eifer eurer heiligen Männer belustigend zu finden, überraschen sie einen mit einer vorausschauenden Tat«, sagte er.
Ealhwine fand sich in dem Anbau, wie Abu Taur gesagt hatte. Er war so glücklich wie ein Frettchen im Kaninchenbau. An den Wänden um den Gelehrten herum stapelten sich in groben hölzernen Regalen Schädel, Arm- und Beinknochen. Der Anbau war das Beinhaus des Klosters. Was sich aber in noch viel größerer Anzahl dort zwischen den Knochen stapelte, waren Schriftrollen. Es schien seltsam passend, die Gebeine der Verstorbenen und das Schriftgut zusammen zu lagern: Beide hatten Geschichten zu erzählen.
Ealhwine sah von einem wackeligen Tisch auf, der vermutlich dazu diente, die Leichen der verstorbenen Mönche darauf aufzubahren, bevor sie in die Gräber gelegt wurden, und ihre blankgenagten Knochen zu waschen, wenn sie wieder aus den Gräbern geholt wurden, um der nächsten Generation von Verstorbenen Platz zu machen. Ealhwine hatte daraus den Tisch eines Bibliothekars gemacht und angefangen, Schriftrollen zu sortieren.
»Ah, Dúnaelf!«, rief er. »Ich könnte mich beschweren, dass du mich in all der Zeit kein einziges Mal besucht hast, aber um ehrlich zu sein, hatte ich alle Hände voll zu tun.«
»Ich wusste nicht, dass Karl dich hierher verbannt hatte.«
»Es ist eine Verbannung ins Glück, das kannst du mir glauben.«
Arima lächelte und deutete auf die Schriftrollen. »Ins Paradies des geschriebenen Worts?«
»So ist es, so ist es. Ich bin froh, dass du hier bist. Ich muss dir etwas zeigen …«
»Zeig es mir später, wenn du dann noch willst. Ich muss dich nämlich dem Paradies entreißen.« Arima erzählte dem Angelsachsen das Märchen vom vermeintlichen Sachsenaufstand und wie wichtig es war, dass er die Botschaft zu Karl brachte und diesem klarmachte, dass der König alles verlieren würde, was er mühsam erkämpft hatte, wenn er sein Heer nicht zurück über die Berge führte und den Aufstand niederschlug. Ealhwine hörte ihr ruhig zu.
»Woher weißt du über den Sachsenaufstand Bescheid?«, fragte er schließlich.
»Ein Bote ist auf Roncevaux angekommen …«
Ealhwine musterte Chlodwig, der so tat, als würde er den Inhalt einer der Schriftrollen zu lesen versuchen. »Der Bote kam von der falschen Seite«, bemerkte er trocken.
»Wie? Nein, der Bote kam aus den Sachsengebieten, direkt aus Patris Brunna. Er hat Roncevaux mit letzter Kraft erreicht und ist dann gestorben.«
»Nachdem er dir seine Botschaft mit seinem letzten Atem anvertraute und dich bat, seine Aufgabe für ihn zu erfüllen?«
»Ja«, sagte Arima, die zu erkennen begann, wie dünn sich ihre Geschichte anhörte, wenn man sie so hinterfragte, wie Ealhwine es tat.
»Tragisch«, erklärte Ealhwine. »Du kannst dir hier schon mal einen Platz aussuchen«, sagte er dann zu Chlodwig.
Der Sachse sah ihn ratlos an. Ealhwine gestikulierte zu den Regalen mit den Schädeln und Knochen. »Da du ja offensichtlich gestorben bist.«
»Nein, Ealhwine«, sagte Arima. »Du hast das missverstanden …«
»Dúnaelf«, unterbrach Ealhwine, »hier sind in den letzten Wochen viele Flüchtlinge und noch viel mehr Gerüchte durchgekommen. Ich glaube, ich weiß, was ihr beide vorhabt. Ihr wollt Karl dazu bewegen, sein Heer abzuziehen. Ihr wollt, dass er die Eroberung von al-Andalus aufgibt.«
»Wir wollen …«, begann Arima.
Der Gelehrte
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