Der letzte Tag: Roman (German Edition)
unliebsame Art erfahren. Und diese fiese Art wurde nur noch verstärkt durch ihren gut kaschierten Geschäftssinn, den man im Eifer des Gefechts immer wieder unterschätzte. Genau diese Leute waren der Grund, warum er sich in das Low-Budget-Filmgeschäft zurückgezogen und einen Berg Schulden angehäuft hatte, über den er lieber nicht nachdachte, weil ihm dann schlecht wurde.
Vorhin war er in diesem beeindruckenden Empfangsbereich abgeholt worden, der so grell beleuchtet gewesen war, dass er die ganze Zeit blinzeln musste. Als er in das Büro des Direktors geführt worden war, hatte Max sich von seinem Platz erhoben, um ihn zu begrüßen. Der kleine Mann mit den lebhaften Augen, der sich so elegant und leichtfüßig bewegte, erinnerte Kyle auf höchst unangenehme und überhaupt nicht angebrachte Art an einen kleinen schlauen Affen. An einen Primaten, der es geschafft hatte, auf zwei Beinen zu gehen und einen Paul-Smith-Anzug zu tragen.
Der Produzent war braun gebrannt und hatte dadurch die Farbe einer Süßkartoffel angenommen. Sein Kopf war bedeckt mit einem halb transparenten Fell implantierter Haare. Kyle hatte nie verstanden, warum Männer mit Glatze so viel Geld ausgaben und sich einer Prozedur unterwarfen, die ihnen am Ende nur einen dünnen Haarschopf bescherte. Das eine Mal, als er in Cannes gewesen war, und bei den zwei Aufenthalten in Los Angeles, als er mit irgendwelchen Agenten aus der Filmbranche gesprochen hatte, war er ständig solchen eigenartigen Figuren wie diesem Max Solomon begegnet.
Als die E-Mail mit der Einladung zu einem Gespräch gestern Abend bei ihm eingetroffen war, hatte Kyle seine stundenlange Lektüre von Jobanzeigen im Internet abgebrochen und war sofort auf die Website von Revelation Productions gegangen. Was er dort sah, entmutigte ihn schlagartig und zerstörte jede Hoffnung
darauf, jemals wieder eine Arbeit zu finden und genug Geld zu verdienen, um seine bevorstehende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Seine Enttäuschung wuchs, je länger er die Website studierte, bis er völlig am Ende war.
Revelation Productions hatte ein Buch mit dem Titel Die Botschaft veröffentlicht und davon »Fünfzig Millionen Exemplare!« verkauft. Dieser Werbeslogan nahm den größten Teil der Homepage ein. Kyle hatte das Buch gelegentlich gesehen. Es hatte das Leben zahlreicher weiblicher Prominenter verändert und war eins dieser Bücher gewesen, die einen Sommer lang von jeder Frau in der U-Bahn gelesen wurden. Wie lange dieser Sommer inzwischen her war, wusste er nicht mehr, aber seitdem hatte er niemanden mehr in der Öffentlichkeit damit gesehen.
Neben der Botschaft hatte die Firma eine Unzahl von Buchtiteln, DVDs, CDs und Merchandise-Artikeln in ihrem Katalog, die alle etwas mit zeitgemäßer, lebensbejahender Selbsthilfe zu tun hatten. Die Produkte wurden abwechselnd als »wegweisend«, »bahnbrechend« oder »aufrüttelnd« beschrieben. Irgendwie klang das alles total nach Kalifornien, war ein bisschen zu ordinär und billig gemacht, wirkte allzu künstlich und gewollt und vermischte zu seinem großen Missfallen pseudowissenschaftliches Getue mit spirituellem Blödsinn. So weit war es nun also mit ihm gekommen, er war im finstersten Keller der Filmindustrie angelangt, danach konnte nur noch das Pornogeschäft kommen.
Seine Dokumentation über die amerikanische Hardcore-Metal-Szene war ein paar Dutzend Mal im Kabelfernsehen gezeigt worden und 2006 ein Festival-Renner gewesen. In der Musikpresse wurde der Film immer noch als Kult-Klassiker bezeichnet. Seine Doku über Hexerei an einer schottischen Universität mit dem Titel Hexenzirkel hatte ihm jede Menge Scherereien wegen angeblicher übler Nachrede gebracht, aber sie war immerhin einmal auf BBC 2 gelaufen und durchaus beachtet worden. Sein Film über die europäische Black-Metal-Szene Beherrscher der
Hölle hatte sich auf DVD dreißigtausendmal verkauft, und zweihunderttausend Internet-Nutzer hatten sich seine Dokumentation Blutrausch heruntergeladen, die von drei britischen Wanderern berichtete, die nördlich des Polarkreises verschwunden waren. All das waren seine Erfolge, und sie waren echt, keine Angeberei. Er war seinen Weg gegangen. Er hatte eine echte und sogar beeindruckende Filmografie vorzuweisen. Aber die Verleiher seiner ersten drei Filme behaupteten, er würde ihnen Geld schulden: fünfzehntausend Pfund. Und er schleppte noch weitere zehntausend Miese mit sich herum, die bei der Produktion von Hexenzirkel angefallen waren und
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