Der letzte Vampir
Sie ließ sich auf die Knie fallen und senkte den Kopf, als würde sie beten. Dabei wusste sie ganz genau, dass es mehr als eines einfachen Gebetes bedurfte, um sich selbst zu retten.
Zusammengesunken auf den Knien sah sie etwas – einen Schatten, der aus der beinahe vollständigen Dunkelheit unter dem Sarg hervorstach. Sie sah die dreieckigen Umrisse der Holzböcke und dazwischen etwas anderes, etwas Flaches, Rechteckiges. Sie kniff die Augen zusammen und sah, dass man etwas unter dem Sarg befestigt hatte; das silberne X vom Klebeband war nun deutlich erkennbar. Sie kniff die Augen erneut zusammen und begriff endlich. Es war eine Handfeuerwaffe. Eine Glock 23.
Er musste sie hier platziert haben. Vielleicht schon in der Nacht, in der Scapegrace und Reyes gekommen waren und er gedroht hatte, Malvern das Herz herauszureißen. Er musste diese Situation einkalkuliert haben, so wie er für jeden möglichen Notfall plante. So kämpfte man gegen Vampire – man ließ einfach nicht zu, dass sie einen überraschten.
Sie schaute zu Arkeley hoch. Er ließ sich nichts anmerken. Sie sah zurück auf die Pistole. Sie wusste, dass sie dreizehn Kugeln enthielt – und keine in der Kammer. Sie schaute auf und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Scapegrace«, sagte sie.
Der Vampir kam näher. Er war nicht mehr als anderthalb Meter entfernt. »Was?«
»Fang.« Sie warf den Totenschädel in die Luft. Sofort hallte das Kreischen aus dem Jenseits durch die Luft. Scapegrace griff mit seinen langen weißen Händen danach.
Caxton riss die Glock von der Sargunterseite los. Zog den Schlitten, um eine Patrone in die Kammer zu hebeln, und sah, wie der Vampir die roten Augen weit aufriss. Sein Verstand begriff, was hier geschah, aber seine Hände griffen unwillkürlich noch immer nach dem Schädel. Er fing ihn und zerbrach ihn in tausend kleine Stücke. Gelbe Knochenfragmente und vor Würmern wimmelnde Erdklumpen regneten auf sein T-Shirt herab. Das Kreischen verstummte.
Caxton rammte den Pistolenlauf gegen seine Brust und feuerte. Er stürzte hinten über, sein Kopf krachte auf den Zementboden. Er richtete den Blick fest auf sie. »Nicht schlecht«, meinte er und versuchte sich aufzurichten, damit er sie töten konnte. Aber seine Gliedmaßen schienen ihm nicht so richtig gehorchen zu wollen. »Scheiße«, sagte er und fiel zurück.
»Los! Holt Hilfe!«, brüllte Hazlitt die Halbtoten an. Einer von ihnen stürmte auf den Eingang und die dahinter liegende Dunkelheit zu. Caxton fuhr auf dem Absatz herum und feuerte einen Schuss ab, und der Rücken des Halbtoten explodierte in einer Wolke aus verfaultem Fleisch und zerrissener Kleidung. Sie drehte sich zum nächsten um, aber der war bereits weg. Der dritte Halbtote kauerte auf dem Boden und hielt die Knie an die Brust gedrückt.
Als Nächstes wandte sie sich Hazlitt zu. Sie richtete die Glock nicht auf ihn – man zielte niemals mit einer Waffe auf einen Menschen, wenn man ihn nicht erschießen wollte. Er trat hinter einen Wagen mit medizinischer Ausrüstung und hob die Hände. Er war zu schlau, um hier etwas Dummes zu versuchen.
Scapegrace hatte sich auf die Seite gerollt und stemmte sich gerade in eine sitzende Position, als sie wieder in seine Richtung sah. Er erwiderte ihren Blick nicht. »Du hast es angeritzt«, sagte er.
»Was?«
»Du hast mein Herz angeritzt.« Er kam auf ein Knie, aber seine Arme zitterten. »Das war echt clever.« Er schob sich auf beide Knie. »Du hast gewartet, bis ich ihr mein ganzes Blut gegeben hatte. Du hast auf den Moment gewartet, in dem ich am schwächsten bin. Wirklich clever. Hör zu.« Er stand auf und breitete die Hände aus. »Ich gehe, okay? Töte mich nicht.« Sein Atem pfiff beim Sprechen – hatte sie eine Lunge durchbohrt? In diesem Augenblick hätte sie alles für eine Röntgenaufnahme gegeben. »Bitte«, fuhr er fort. »Du kannst mich für alle Ewigkeit einsperren, mach mit mir, was du willst. Aber bitte töte mich nicht. Ich bin nicht mal achtzehn Jahre alt.«
»Nicht«, keuchte Arkeley hinter ihr. Nicht auf ihn hören, wollte er sagen. Arkeley. Er lebte noch? Nicht mehr lange, wenn sie ihn nicht schnell dort runterholte und seine Wunden verband. Sie wandte den Kopf ein Stück, um nach ihm zu sehen.
Das war die Gelegenheit, auf die Scapegrace gewartet hatte. Er warf sich quer durch den Raum, ein bleicher Blitz. Blut schoss aus Hazlitts Kehle, als der Vampir ihm den halben Hals wegfetzte. Der Arzt gurgelte einen Schrei heraus.
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