Der letzte Vampir
berührte ihren Arm und schüttelte den Kopf. Sie warteten scheinbar endlose Minuten, lauschten, wie Scapegrace seine Ladung gestohlenes Blut hochwürgte. Tuckers Blut, dachte Caxton. Vielleicht auch Arkeleys. Er fütterte natürlich Malvern, so wie Lares in der Nacht, in der Arkeley ihn getötet hatte. Als der Lärm endete und Scapegrace fertig war, nickte Hazlitt ihr zu. Sie schob sich durch den Plastikvorhang und trat in den Raum mit dem blauen Licht. Ihre Augen brauchten einen Augenblick, um sich daran zu gewöhnen, und sie verspürte eine kurze Benommenheit. Sie glaubte jemanden ihren Namen rufen zu hören und konzentrierte sich. Sie hatte solche Angst, dass sie fürchtete, den Verstand zu verlieren. »Laura«, hörte sie es erneut, eine Frauenstimme. War das Malvern? Nein, unmöglich. Malverns Stimmbänder waren schon vor hundert Jahren verrottet. »Laura.« Es kam so klar und laut, als stünde jemand hinter ihr. Sie drehte sich um, dabei wusste sie, dass da niemand sein konnte. Es war, als würde ein Geist sprechen, so wie der Geist in Urie Polders Scheune.
»Officer?«, sagte Hazlitt mit besorgter Miene.
»Nichts«, erwiderte sie. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das blaue Licht. Es hatte einige Veränderungen in dem Raum gegeben. Die medizinische Ausrüstung war in die Ecken geschoben worden; die Mikrofone und Messgeräte, die von der Decke gehangen hatten, um Malvern ständig zu überwachen, waren alle verschwunden. Der Laptop war noch da, auf einem Metallstuhl. Caxton warf einen Blick auf den Sarg, der auf den Holzböcken stand. Er war fast bis zum Rand mit Blut gefüllt. Sie war überzeugt, dass Malvern dort lag, in der dunklen Flüssigkeit untergetaucht, aber sie konnte nicht einmal einen Schatten wahrnehmen. Wie zur Erwiderung auf ihren forschenden Blick ging eine Welle durch das Blut, und fünf winzige Spitzen erschienen an der Oberfläche. Sie stiegen in die Höhe, und sie erkannte, dass es Fingernägel waren.
Malverns Hand schob sich aus dem Blut, geronnene Klumpen perlten von den Fingern ab. An den Fingern war mehr Fleisch als je zuvor – das Bad in Menschenblut hatte offensichtlich den gewünschten Effekt. Malvern verjüngte sich. Ihre Hand griff nach dem Laptop, und sie tippte. Buchstabierte langsam die Botschaft für ihren neuen Gast:
will kommen laura
Als die Vampirin fertig war, glitt die Hand in den Sarg zurück. Es war alles so still und höflich und majestätisch, dass Caxton den absurden Drang verspürte, einen Knicks zu machen und ihrer Gastgeberin für die Gastfreundschaft zu danken. Scapegrace tippte ihr auf die Schulter, und sie drehte sich um. Ihr stockte der Atem. Über einem schlichten Holzstuhl baumelte eine Schlinge von der Decke. »Die … ist … für mich«, stammelte sie. »Damit ich … mich umbringen und den Ritus vollenden kann.«
»Ja«, erwiderte Hazlitt. »Ich möchte Ihnen noch sagen, dass ich für eine Todesspritze war. Ich habe sogar selbst eine für mich vorbereitet. Aber sie wollten nichts davon hören.«
»So hat es doch deine Mutter getan, oder?«, fragte Scapegrace. Er klang beinahe eifrig bemüht, als wäre es ihm wichtig, dass er alles richtig gemacht hatte. »Sie hat sich doch erhängt? Uns gefiel die Symmetrie des Ganzen.«
»Ja, das ist richtig.« Sie nickte, versuchte sich zu wehren, indem sie noch lässiger war als er. Ihr Magen schmerzte, aber sie weigerte sich, es sich anmerken zu lassen. Symmetrie. So etwas gefiel dem verdrehten, zwanghaften Verstand eines Vampirs offenbar. »Sie hat sich erhängt. Als ich noch sehr jung war. Ist es jetzt so weit?«, fragte sie mit einem Kloß im Hals. »Ist es Zeit für mich …« Sie konnte den Satz nicht zu Ende bringen. »Ihr wisst schon.«
»Wir sind noch nicht ganz fertig«, sagte Scapegrace.
Ein Halbtoter trat ein und stieg auf eine Trittleiter, um zwei dicke Ketten an der Decke aufzuhängen. Als er fertig war, räumte er die Leiter weg und machte Platz für zwei weitere Halbtote, die einen großen Segeltuchsack hereinschleppten. An seinem einen Ende waren ein paar hässliche Flecken. Sie stöhnten und fluchten, während sie mit ihrer Last kämpften, aber sie beschwerten sich nicht. Gelegentlich schauten sie zu Scapegrace herüber, als rechneten sie damit, dass er sich aus reinem Vergnügen auf sie stürzen und in Stücke reißen würde.
Schließlich hatten sie den Sack geöffnet. Darin befand sich ein menschlicher Körper, ein großer, in einem dunklen Anzug. Hände und Gesicht waren so
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