Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
befand er sich bereits in dem Kofferraum und hatte keine Ahnung, wer ihn entführt haben mochte und weshalb. Als Erstes dachte er an Kevin – vielleicht spielte er ihm einen irren Streich –, aber Kevin hätte ihn niemals ausgezogen. Er war nackt und das bedeutete, dass es ernst war.
Er ging den Abend im Casino noch einmal durch, suchte nach einem Motiv für den Überfall. Das Geld hatte er nicht, das hatte Kevin. Aber selbst wenn er es gehabt hätte, ergab das trotzdem keinen Sinn. Der Typ besaß einen Wagen und nach der Größe des Kofferraums zu urteilen keinen kleinen. Zweihundert Pfund waren doch nicht genug, um jemanden dafür zu ermorden. Er durchforstete seine Vergangenheit nach Hinweisen. In den letzten zwei Jahren hatte er sich in Angola, in Liberia, im Libanon, in New York und in Glasgow aufgehalten. Aber er war ein erfahrener Journalist, ein Beobachter, er beteiligte sich nie und mischte sich nicht einmal dann ein, wenn es ihm schwerfiel, sich rauszuhalten. Kein Konflikt würde in Zukunft anders verlaufen, nur weil man ihn, Terry, aus dem Verkehr gezogen hatte.
Aber irgendjemand hatte genau das vor. Und niemand würde ihm helfen.
Terry erinnerte sich an einen fünfzehnjährigen Kriegsgefangenen, der in die stechende Mittagssonne von Angola geblinzelt hatte, ein Junge mit einer Haut so schwarz, dass sie fast bläulich schimmerte; er war völlig erschöpft und aus seinen braunen Augen sprach das blanke Entsetzen. Willenlos hatte er sich auf einer staubigen Straße seiner Hinrichtung entgegengeschleppt und seinen Mördern damit die Mühe erspart, sein Blut vom schwer zu reinigenden Fußboden irgendeines Gebäudes entfernen zu müssen. Terry hatte beobachtet, wie er vor dem Lauf des Gewehrs niederkniete. Noch in der Sekunde, in der die Kugel den Lauf verließ, hatten seine Augen hinter seinem Henker nach etwas oder jemandem gesucht, der oder das ihn vor seinem Schicksal bewahren würde. Terry hatte Überlebende des Holocaust interviewt, hatte sich berichten lassen, wie sie sich selbst in den Viehwaggons noch an die Hoffnung klammerten, obwohl sie wussten, dass man sie in die Todeslager brachte.
Mörder bauen auf diese Hoffnung, das wusste er. Hoffnung ist die Komplizin des Killers.
Doch er würde sich über keine staubige Straße schleppen und willenlos vor dem Lauf eines Gewehrs niederknien. Er würde alle Hoffnung fahren lassen, der Wahrheit ins Gesicht sehen und einen Plan aushecken, einen Moment finden, den er ausnutzen konnte.
Er holte dreimal tief Luft und hielt den Atem an, um seinen Herzschlag zu beruhigen.
Im Innenraum des Wagens wurde nicht gesprochen, auch Musik war keine zu hören. Es schien nur der Fahrer zu sein, der Mann, der ihn gewürgt hatte. Lass es nur einen sein.
Er ging das Ende der Fahrt in Gedanken durch: Der Wagen hält an, der Kidnapper öfnet den Kofferraum und lässt Terry herausklettern, er schließt den Kofferraum – ein abgestellter Wagen mit geöfnetem Kofferraum würde nur aufallen, es könnte aussehen, als sei der Wagen liegen geblieben und der Fahrer brauche Hilfe – er führt Terry an die Stelle, an der die Leiche gefunden werden soll. Dann der Schuss.
Terry spürte den Druck an seiner Schläfe, das Eindringen der Patronenspitze, hörte seinen Körper zu Boden sacken, sah eine Wolke trockenen afrikanischen Staubs über sich aufsteigen. Er zwang sich, noch einmal tief einzuatmen, seinen Puls zu senken.
Wenn er den Kofferraum schloss: Das war der Moment. Das war der einzige Augenblick, in dem der Entführer abgelenkt sein würde. Wenn Terry auf den Beinen wäre, könnte er sich ein wenig vom Wagen entfernen. So müsste der Mann zwischen ihn und das Auto treten, um an die Kofferraumhaube zu kommen. Dann konnte sich Terry, aus der Distanz heraus, mit seinem ganzen Gewicht gegen den Rücken des Mannes werfen, ihn schubsen oder umstoßen, konnte versuchen, ihn richtig zu verletzen. Er würde nicht mit Widerstand rechnen, wenn sich Terry zunächst willenlos gab, wenn er weinte und flehte.
Er dachte an das würdelose Herausklettern, spürte die kalte Straße unter seinen blanken Füßen, die Nachtluft auf seiner klammen, feuchten Haut. Er wackelte mit den Hüften, probte das Zurückweichen. Er würde so tun, als sei ihm schwindlig von der Fahrt.
Der Wagen bog sanft um die Kurve, die Straße hatte nun einen anderen Belag, denn unter den Reifen knirschte es – Asphalt, der nach dem warmen Tag weich war und in den sich kleine Steine gedrückt hatten. Die Fahrt
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