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Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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gefeilscht hat? Und du wagst es, den Kopf hoch zu tragen, du Wicht? Den 
Wissenden
 zu mimen? Den Magier? Den Zauberer? Du elender Hexer! Pack dich, ehe ich dir mit der Klinge das Maul stopfe!«
    Der Hexer zuckte nicht einmal, er blieb ruhig stehen.
    »Ihr solltet lieber selbst hier weggehen, Herr Ostrit«, sagte er. »Es wird dunkel.«
    Ostrit trat einen Schritt zurück, zog blitzschnell das Schwert. »Du hast es so gewollt, Zauberer. Ich werde dich töten. Deine Tricks helfen dir nicht. Ich habe einen Schildkrötenstein bei mir.«
    Geralt lächelte. Der Glaube an die Kraft eines Schildkrötensteins war ebenso verbreitet wie falsch. Doch der Hexer dachte nicht daran, seine Kräfte auf Zaubersprüche zu verschwenden, und erst recht nicht, die Silberklinge durch eine Begegnung mit Ostrits Wanst zu beflecken. Er tauchte unter der wirbelnden Schneide hinweg und schlug dem Magnaten mit dem Unterarm, mit den silbernen Nieten der Manschette gegen die Schläfe.

VI
    Ostrit kam rasch wieder zur Besinnung und ließ den Blick durch völlige Dunkelheit schweifen. Er bemerkte, dass er gefesselt war. Geralt, der neben ihm stand, sah er nicht. Doch er erfasste, wo er sich befand, und heulte auf, anhaltend und grell.
    »Sei still«, sagte der Hexer. »Du ziehst sie sonst vor der Zeit an.«
    »Du verfluchter Mörder! Wo bist du? Bind mich sofort los, du Mistkerl! Dafür wirst du hängen, Hundesohn!«
    »Sei still.«
    Ostrit atmete schwer. »Du wirfst mich ihr zum Fraß vor! Gefesselt?«, fragte er schon leiser und fügte fast flüsternd ein übles Schimpfwort hinzu.
    »Nein«, sagte der Hexer. »Ich lass dich frei. Aber nicht jetzt.«
    »Du Schurke«, zischte Ostrit. »Um die Striege abzulenken?«
    »Ja.«
    Ostrit verstummte, hörte auf, sich in den Fesseln hin und her zu werfen, und lag still.
    »Hexer?«
    »Ja.«
    »Es ist wahr, dass ich Foltest stürzen wollte. Nicht nur ich. Aber nur ich wollte seinen Tod, ich wollte, dass er unter Qualen stirbt, dass er wahnsinnig wird, bei lebendigem Leibe verfault. Weißt du, warum?«
    Geralt schwieg.
    »Ich habe Adda geliebt. Die Schwester des Königs. Die Geliebte des Königs. Die Hure des Königs. Ich habe sie geliebt ... Hexer, bist du hier?«
    »Ja.«
    »Ich weiß, was du denkst. Aber so war es nicht. Glaub mir, ich habe keinen Fluch ausgesprochen. Ich verstehe nichts von Zauberei. Nur einmal habe ich im Zorn gesagt ... Nur einmal. Hexer? Hörst du?«
    »Ja.«
    »Es war seine Mutter, die alte Königin. Gewiss war sie es. Sie konnte nicht mit ansehen, wie er und Adda ... Ich war das nicht. Ich habe nur einmal, weißt du, versucht, sie umzustimmen, aber Adda ... Hexer! Es kam über mich, und ich habe gesagt ... Hexer? War ich es? Ich?«
    »Das spielt jetzt keine Rolle mehr.«
    »Hexer? Ist Mitternacht nahe?«
    »Ja.«
    »Lass mich eher frei. Gib mir mehr Zeit.«
    »Nein.«
    Ostrit hörte nicht das Schurren, mit dem der Deckel des Sarkophags weggeschoben wurde, wohl aber der Hexer. Er beugte sich herab und schnitt mit dem Stilett die Fesseln des Magnaten durch. Ostrit wartete keine Worte ab, er fuhr hoch, schwankte mit starr gewordenen Gliedern, lief los. Seine Sicht hatte sich schon so weit der Dunkelheit angepasst, dass er den Weg sah, der aus dem großen Saal nach draußen führte.
    Krachend sprang die Platte aus ihrem Lager, die den Eingang zur Krypta versperrte. Geralt, sorgsam hinter dem Treppengeländer verborgen, erblickte die Missgestalt der Striege, die behände, schnell und zielsicher dem sich entfernenden Tappen von Ostrits Stiefeln nachjagte. Die Striege machte nicht das geringste Geräusch.
    Ein ungeheuerlicher, durchdringender, wahnsinniger Schrei zerriss die Nacht, ließ die Mauern erzittern und dauerte an, höher und tiefer vibrierend. Der Hexer konnte die Entfernung nicht genau abschätzen – sein verfeinertes Gehör täuschte ihn –, doch er wusste, dass die Striege Ostrit schnell erwischt hatte. Zu schnell.
    Er ging in die Mitte des Saales und blieb am Eingang zur Krypta stehen. Er warf den Mantel ab. Er bewegte die Schultern, um den Sitz des Schwertes zu korrigieren. Er zog die Handschuhe hoch. Er hatte noch einen Augenblick Zeit. Er wusste, dass die Striege, obwohl sie vom letzten Vollmond her noch satt war, Ostrits Leiche nicht so bald verlassen würde. Herz und Eingeweide waren für sie ein wertvoller Nahrungsvorrat für die lange Zeit, die sie in Starre zubrachte.
    Der Hexer wartete. Bis zum Morgengrauen blieben, wie er ausrechnete, noch etwa drei Stunden. Das

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