Der letzte Wunsch
phosphoreszierendem Sand gefüllte Sanduhr. Er kreuzte die Arme. Er hörte die Schreie der Striege nicht mehr, die das Schloss erschütterten. Er hörte überhaupt nichts mehr, denn Einbeere und Schöllkraut begannen zu wirken.
VII
Als Geralt die Augen öffnete, war der Sand in der Uhr schon restlos durchgelaufen, was bedeutete, dass seine Lethargie sogar länger als nötig gedauert hatte. Er lauschte – er hörte nichts. Sein Denken funktionierte schon wieder normal.
Er nahm das Schwert in die Hand, streckte die Hand nach dem Sarkophagdeckel aus und murmelte einen Spruch, worauf er den Deckel leicht, ein paar Zoll weit, anhob.
Er schob die Platte weiter zurück, setzte sich auf, hielt die Waffe bereit und streckte den Kopf über den Sargrand. In der Krypta war es dunkel, doch der Hexer wusste, dass draußen der Morgen dämmerte. Er schlug Feuer und zündete ein Lämpchen an, hob es hoch, dass es auf der Wand der Krypta seltsame Schatten warf.
Leer.
Er stieg aus dem Sarkophag, taub, starr, durchfroren. Und da sah er sie. Sie lag neben dem Sarg ausgestreckt, nackt, bewusstlos.
Sie war ziemlich hässlich. Schmächtig, mit kleinen spitzen Brüsten, schmutzig. Die Haare – rotblond – reichten ihr fast bis zur Taille. Er stellte das Lämpchen auf den Deckel und kniete neben ihr hin, beugte sich hinab. Sie hatte bleiche Lippen, über einem Wangenknochen einen großen Bluterguss von seinem Schlag. Geralt zog einen Handschuh aus, legte das Schwert beiseite und zog ohne weitere Umstände ihre Oberlippe hoch. Sie hatte normale Zähne. Er griff nach ihrer Hand, die in ihrem wirren Haar verkrallt war. Noch ehe er sie erreicht hatte, bemerkte er die offenen Augen. Zu spät.
Sie fuhr ihm mit den Krallen über den Hals, drang tief ein, das Blut spritzte ihr ins Gesicht. Sie heulte auf und schlug mit der anderen Hand nach den Augen. Er warf sich auf sie, packte sie an beiden Handgelenken, drückte sie zu Boden. Sie schnappte mit den Zähnen – die schon zu kurz waren – vor seinem Gesicht. Er schlug ihr seine Stirn ins Gesicht, drückte sie kräftiger nieder. Sie hatte nicht mehr so viel Kraft wie zuvor, sie wand sich nur unter ihm, heulte, spuckte Blut aus – sein Blut –, das ihr über die Lippen strömte. Er verlor sein Blut rasch. Ihm blieb keine Zeit. Der Hexer beugte sich vor und biss sie knapp unterm Ohr kräftig in den Hals, schlug die Zähne in sie und drückte zu, bis das unmenschliche Geheul einem dünnen, verzweifelten Schrei wich und dann ersticktem Schluchzen – dem Weinen eines gekränkten vierzehnjährigen Mädchens.
Er ließ sie los, als sie sich nicht mehr regte, richtete sich auf Knien auf, zerrte aus einer Tasche am Ärmel ein Stück Tuch, presste es sich an den Hals. Er tastete nach dem neben ihm liegenden Schwert, legte dem bewusstlosen Mädchen die Schneide an die Kehle, beugte sich über ihre Hand. Die Nägel waren hässlich, abgebrochen, blutig – doch normal. Völlig normal.
Mit Mühe stand der Hexer auf. Durch den Eingang der Krypta strömte schon das klebrig-feuchte Grau des Morgens herein. Er eilte zur Treppe, stockte aber, setzte sich schwer auf den Fußboden. Durch das durchnässte Stück Tuch hindurch rann ihm das Blut über die Hände, in den Ärmel hinein. Er schlug den Mantel auf, zerriss sein Hemd, zerschnitt, zerfetzte es zu Lappen, wand sie sich um den Hals und wusste, dass er nicht viel Zeit hatte, dass er gleich ohnmächtig werden würde ...
Er schaffte es. Und wurde ohnmächtig.
In Wyzima, jenseits des Sees, krähte mit in der feuchten Kühle gesträubtem Gefieder heiser zum dritten Mal ein Hahn.
VIII
Er erblickte die geweißten Wände und die Balkendecke der Kammer über der Wachstube. Er bewegte den Kopf und verzog vor Schmerz das Gesicht, stöhnte. Sein Hals war verbunden, dick, gründlich, fachmännisch.
»Bleib liegen, Zauberer«, sagte Velerad. »Bleib liegen, beweg dich nicht.«
»Mein ... Schwert . . .«
»Ja, ja. Am wichtigsten ist natürlich dein silbernes Hexerschwert. Es ist da, keine Angst. Das Schwert und auch das Köfferchen. Und dreitausend Orons. Ja, ja, sag nichts. Ich bin hier der alte Trottel und du der weise Hexer. Foltest sagt das seit zwei Tagen immer wieder.«
»Zwei . . .«
»Nun ja, zwei. Den Hals hat sie dir ordentlich aufgefetzt, es war alles zu sehen, was du da drinhast. Du hast eine Menge Blut verloren. Zum Glück sind wir gleich nach dem dritten Hahnenschrei zum alten Schloss geprescht. In Wyzima hat in der Nacht niemand geschlafen.
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