Der Leuchtturm am Ende der Welt
ihrer Ruhe nicht unnütz aufgescheucht zu haben. Noch eine weitre Stunde blieb er auf der Galerie und sah den Dampfer im Norden von der Insel, doch drei bis vier Meilen von ihr entfernt, vorübergleiten, d. h. zu weit von ihm, als daß das Schiff seinen Namen und seinen Heimathafen hätte signalisieren können, ein Signal, das übrigens aus begreiflichem Grunde unbeantwortet geblieben wäre.
Vierzig Minuten später verschwand der Dampfer, der in der Stunde mindestens zwölf Knoten zu laufen schien, hinter der Calnettspitze.
Carcante stieg nun hinab, nachdem er sich überzeugt hatte, daß bis zum Horizonte kein andres Schiff zu sehen war.
Inzwischen kam die Stunde des Gezeitenwechsels heran, und mit ihm sollte die Abfahrt der Goelette erfolgen. Alle Vorarbeiten dazu waren vollendet und die Segel bereit, gehißt zu werden. Einmal in die richtige Lage gebracht, mußten sie den jetzt nach Ostsüdost umgeschlagenen Wind von der Seite bekommen, und die ›Carcante‹ konnte damit bequem zum hohen Meere hinaussteuern.
Um sechs Uhr waren Kongre und die meisten der Leute an Bord. Das Boot brachte noch die, die sich an der Turmeinfriedigung aufgehalten hatten, und dann wurde auch dieses auf seine Ausholer hinausgewunden.
Die Flut begann nun langsam abzulaufen. Schon lag die Stelle trocken, nach der man die Goelette wegen der nötigen Ausbesserungen geschleppt hatte. Auf der andern Seite des Landeinschnittes traten die spitzen obern Teile von Felsblöcken hervor. Der Wind pfiff durch Spalten des Steilufers herein und am Ufer zeigte sich eine leichte Brandung.
Der Augenblick der Abfahrt war gekommen, und Kongre gab Befehl, das Ankerspill zu drehen. Die Kette spannte sich an, knarrte in den Klüsen, und als sie senkrecht lag, wurde der Anker aus dem Grunde gebrochen und auf seine Kranbalken gehoben, wo man ihn für eine bevorstehende längre Fahrt sorgsam festlegte. Danach wurden die Segel eingestellt, und unter ihrem Focksegel, dem Großsegel, dem Mars-, einem Top-und den Klüversegeln begann die Goelette sich mit Backbordhalfen zu wenden und damit dem Meere zuzusteuern.
Da der Wind aus Ostsüdosten kam, mußte die ›Carcante‹ das Kap Sankt-Johann ohne Schwierigkeiten umschiffen können. Übrigens lag auch keine Gefahr darin, daß sie vorläufig sehr nahe am Steilufer hinsegelte.
Kongre wußte das. Er kannte die Bucht vollständig. Am Steuer stehend, ließ er die Goelette ohne Bedenken noch ein Stück beidrehen, um ihre Fahrschnelligkeit so viel wie möglich zu erhöhen.
Die ›Carcante‹ kam im allgemeinen doch nur etwas unregelmäßig vorwärts: langsamer, wenn der Wind zeitweise nachließ, schneller, wenn er ihre Segel straffer aufblähte. Sie überholte jedoch immer den Ebbestrom und ließ einen Kielwasserstreifen hinter sich zurück, ein gutes Zeichen für ihre Schwimmlinie und auch ein günstiges Vorzeichen für die weitere Reise.
Halb sieben Uhr befand sich Kongre nur noch eine Seemeile hinter dem Ende der Bucht und vor ihm breitete sich schon das Meer bis zum Horizont hin aus. Die Sonne sank auf der entgegengesetzten Seite, und bald mußten die Sterne im Zenit aufleuchten, der sich unter dem Schleier der Dämmerung verdunkelte.
Da trat Carcante an Kongre heran.
»Endlich sind wir nun bald aus der Bucht heraus, sagte er mit deutlicher Befriedigung.
– In zwanzig Minuten, antwortete Kongre, werde ich die Schoten nachschießen lassen und das Ruder nach Steuerbord legen, um das Kap Sankt-Johann zu umschiffen.
– Werden wir, in der Meerenge angelangt, vielleicht noch kreuzen müssen?
– Das glaube ich nicht, meinte Kongre. Gleich hinter dem Kap Sankt-Johann wechseln wir die Halsen, und dabei wird es bis zum Kap Horn bleiben können. Wir sind schon ein Stück in das neue Jahr hinein, und deshalb erwarte ich, daß der Wind im allgemeinen eine östliche Richtung behalten wird. In der Meerenge selbst tun wir, was die Umstände erfordern, ich fürchte jedoch nicht, daß wir eine so widrige Brise bekommen, uns gar schleppen lassen zu müssen.«
Wenn Kongre es, wie er hoffte, vermeiden konnte, die Halsen nochmals zu wechseln, gewann er entschieden nicht wenig Zeit. War er dazu gezwungen, so sollten die viereckigen Segel eingebunden, und nur die lateinischen, die Brigantine, die Stag-und die Klüversegel, beibehalten werden.
In diesem Augenblicke rief ein am Kranbalken stehender Mann:
»Achtung… nach vorn!
– Was gibt es denn?« fragte Kongre.
Carcante lief zu dem Manne hin und beugte sich über die
Weitere Kostenlose Bücher