Der Leuchtturm von Alexandria
Philon zu erstrecken. Er war sehr erleichtert, mich zu sehen, zunächst jedoch erörterte er ausschließlich die Probleme unserer Patientin. Um das Fieber zu senken, hatte er ihr eine kleine Dosis gefleckten Schierling gegeben, dazu ein wenig Enzianwurzel, damit sie nicht mehr so stark blutete, und jetzt schlief sie. Für den Säugling hatte er eine Amme gefunden, doch Philon wollte, daß das Kind möglichst bald zur Mutter zurückgebracht wurde, damit sie es zumindest einmal am Tag stillen konnte. Andernfalls bestand die Gefahr, daß sie zu ihrem Kindbettfieber auch noch eine Brustdrüsenentzündung bekam. Die Mönche waren allesamt sehr freundlich und hilfsbereit, und bald konnten wir das Hospital verlassen und uns auf den Heimweg machen.
»Dem Himmel sei Dank, daß dir nichts passiert ist«, sagte Philon, als wir endlich allein waren. »In der Hafengegend war ein großes Geschrei, und der Mann jener Frau kam und berichtete, der Erzbischof solle erneut verbannt werden und die ganze Stadt sei in Aufruhr. Ich schickte ihn hinter dir her, damit du dich vom Hospital fernhieltest. Ich wußte, daß es Ärger mit diesen Mönchen geben würde. Doch es war bereits zu spät. Sie haben dich also zum Erzbischof geschleppt.«
Ich nickte. »Er versicherte ihnen, an dem Gerücht sei nichts dran und sie seien verpflichtet, unsere Patientin zu nehmen.«
»Chariton, du bist ein erstaunlicher Mensch«, erklärte Philon feierlich. »Jeder andere wäre unweigerlich gelyncht worden… Die Mönche haben mir erzählt, der Erzbischof habe allein mit dir sprechen wollen?«
Ich nickte. Philon sah mich einen Augenblick lang prüfend an, doch ich erwiderte seinen Blick nicht. »Und was passierte dabei?« fragte er schließlich.
»Ich glaube, er würde einen besseren Kaiser abgeben als der Augustus Valens«, sagte ich. »Er würde keine Menschen foltern. Er hätte das nicht nötig.«
Philon blieb stehen und ergriff meinen Arm. »Chariton«, sagte er, »er wird doch nicht… Ich weiß, daß du nichts Schlechtes getan hast, aber ich weiß auch, daß es da ein paar Dinge gibt, die du mir verheimlicht hast. Es ist ganz offensichtlich – ein Eunuch aus einer reichen Familie taucht nicht plötzlich völlig mittellos in einer Stadt wie Alexandria auf, ohne daß auch nur das geringste wegen seines Studiums vereinbart worden wäre. Es sei denn, es ist etwas schiefgegangen. Was auch immer für Geheimnisse du hast… Der Erzbischof kann sie doch nicht gegen dich benutzen, nicht wahr?«
Ich war gerührt über seine Besorgnis. »Ich glaube nicht, daß er das tun wird«, erwiderte ich. »Aber davon einmal abgesehen, glaube ich nicht, daß er es überhaupt nötig hätte.«
Philon sah mich eindringlich an. Ich lächelte ihn an; er lächelte zurück und ließ meinen Arm los. Wir setzten unseren Weg fort.
7
»Aber was ist der Erzbischof wirklich für ein Mann?« fragte Theogenes mich immer wieder. Es war der Abend nach dem Sabbat, und wir saßen zusammen mit ein paar anderen Medizinstudenten in der Taverne des Kallias. Anfangs hatte ich gar nichts über meine Begegnung mit Athanasios erzählt, aber Theogenes hatte am Abend zuvor die ganze Geschichte bei Philon zu Hause gehört, und seitdem fragten mir alle ein Loch in den Bauch.
»Wie soll ich das denn wissen? Ich habe ihn ganze zehn Minuten gesehen«, entgegnete ich gereizt. »Er machte einen sehr intelligenten und sehr scharfsichtigen Eindruck auf mich, aber mehr kann ich auch nicht sagen.«
»Aber wie konnte er diese persönliche Angelegenheit über dich herausfinden, wenn du nicht einmal uns sagen willst, um was es sich dabei handelt?« wollte Nikias wissen.
»Ich weiß auch nicht, wie er darauf gekommen ist. Vielleicht hat Gott es ihm wirklich offenbart. Vielleicht hatte er ja auch nur Glück bei einer Vermutung.«
»Die Leute behaupten, er sei ein Zauberer«, meinte Nikias zweifelnd. Als Heide neigte er dazu, über göttliche Offenbarungen von Christen zu spotten, er glaubte ebensosehr an die magischen Kräfte des Menschen wie Äskulaps wundersame Heilkraft.
»Das ist Unsinn«, sagte ich entschieden. »Beschuldigungen wegen Zauberei sind meistens nichts als schmutzige Verleumdung. Und ich glaube, die Geistlichkeit gehört so ungefähr zu der einzigen Kategorie von Ägyptern, die nie etwas dergleichen praktiziert hat.«
»Aber Athanasios kann die Zukunft vorhersagen«, behauptete Nikias ganz ernsthaft. »Einmal wurde er in seiner Sänfte die Somastraße hinuntergetragen, als er an die
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