Der Leuchtturm von Alexandria
Pferderennen war immer sein bestes Argument gewesen, wenn ihn zum Beispiel jemand auf unsere Pforte in der Stadtmauer ansprach. Er hatte sich niemals vorstellen können, daß ihm jemand diese Großzügigkeit als absichtliches und vorbedachtes Haschen nach Volkstümlichkeit auslegen könnte. Natürlich, er war beliebt! Wenige der anderen vornehmen Herren in Ephesus waren erpicht darauf, irgendwelche Posten in der städtischen Verwaltung anzunehmen. So etwas brachte nun einmal riesige Unkosten mit sich, da die öffentlichen Bäder erhalten werden mußten und das Volk an den Festtagen mit Wagenrennen ergötzt werden wollte. Und so waren sie denn höchst erfreut, daß mein Vater sie immer wieder dieser Notwendigkeit enthob. Natürlich, das Volk trank ausgiebig auf sein Wohl und jubelte ihm zu, wann auch immer er sich zeigte: der höchst ehrenwerte Theodoros, der Veranstalter der Pferderennen! Sie waren genauso wild auf Pferderennen wie mein Vater.
»Ich… Ich bin nur ein um das Gemeinwohl besorgter Bürger«, rief Vater pathetisch aus. »Und ich kümmere mich um das Wohlergehen meiner Stadt. Und ich liebe Pferderennen.«
»Mag sein.« Der andere richtete sich auf seiner Ruhebank auf und setzte die Schale mit dem Wein ab. »Mag sein. Wir werden ja sehen. Was hast du getan, als der Thronräuber Procopius Ansprüche auf die kaiserliche Würde erhob?«
»Ich? Was hätte ich denn tun können? Ich bin zu Hause geblieben, wie es einem ehrbaren Mann geziemt.«
Dies entsprach soweit – und das war nicht sehr weit – der Wahrheit. Er hatte mit dem Prätendenten, der ein Mann von vornehmstem Herkommen war – mein Vater hielt sich ja selbst für einen Aristokraten – sympathisiert. Als es Procopius gelungen war, die Kontrolle über die Provinz zu erlangen, hatte mein Vater sich in der Tat mit seinen Freunden darüber beraten, ob sie zum Hof gehen und dem Prätendenten ihre besten Wünsche entbieten sollten. Doch dann hatten sie sich dazu entschlossen, erst einmal abzuwarten, aus welcher Richtung der Wind wehen würde – ein glücklicher Vorsatz, da Procopius ein paar Monate später von Kaiser Valens besiegt worden war. »Ach wirklich? Und du hast nicht etwa auf das Wohl des Thronräubers angestoßen und beteuert, er sei immerhin ein Vetter von Kaiser Konstantius und werde einen besseren Kaiser abgeben als der Sohn eines pannonischen Bauern?«
»Nein! Nein! Natürlich nicht.« Mein Vater schluckte schon wieder. Vielleicht hatte er es tatsächlich getan, dachte ich bei mir. Aber der Fremde würde doch einen Mann sicherlich nicht allein wegen einer solchen Unbedachtsamkeit des Verrats bezichtigen? Die meisten reichen Männer in den östlichen Provinzen des Imperiums hatten genau das gleiche getan. Inzwischen war der ganze Streit sowieso hinfällig geworden, und es war sinnlos, ihn noch einmal aufzuwärmen.
Doch der Fremde war noch nicht zu Ende. »Du warst ein Freund des Euserios, des früheren Statthalters dieser Provinz«, stellte er fest. Er sagte nicht des »vorzüglichen Herrn Euserios«, nicht des »höchst edlen Euserios«. Euserios befand sich eindeutig in großen Schwierigkeiten.
»Ja. Das heißt, ich kannte ihn. Natürlich, Vortrefflicher, ich kannte ihn; vor zwei Jahren residierte er hier in Ephesus: Wie konnte ich ihn denn, als ehemaliger Statthalter und führender Bürger der Hauptstadt dieser Provinz, nicht kennen? Aber seit damals habe ich ihn nicht mehr gesehen, Vortrefflicher. Wir waren nicht miteinander befreundet.«
»Du hast einen Briefwechsel mit ihm geführt.«
»Nein! Jedenfalls nichts von Belang, lediglich Empfehlungsbriefe für ein paar junge Männer, die gerne in sein Gefolge aufgenommen werden wollten. Ich hoffe, er hat nichts Schlimmes getan. Ich bin sicher, daß er nichts Böses im Sinn gehabt hat…« Mein Vater hielt inne, er schwitzte. Ich konnte mich noch erinnern, wie Euserios, ein feister, fröhlicher Mann und ein fähiger Statthalter, einen Trinkspruch auf den letzten Erfolg meines Vaters auf der Pferderennbahn ausgebracht hatte.
»Er ist tot«, erwiderte der andere. »Erdrosselt. Nachdem man ihn auf die Folter gespannt hat.«
Mein Vater wurde blaß und sank auf der nächsten Ruhebank nieder. Maia ließ mich los, ergriff eilig einen Becher Wein und gab meinem Vater etwas zu trinken. Sie zupfte an seinem Umhang und fächelte ihm Luft zu. Ich fühlte mich elend. Bis jetzt hatte ich nicht unbedingt Angst gehabt. Es war mir klar, daß der Fremde unangenehm war und daß mein Vater völlig
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