Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
Vom Netzwerk:
deren Rand die Buchstaben des Alphabets eingraviert waren. Nach allen möglichen heidnischen und gottlosen Riten befestigten sie daraufhin mit Hilfe eines Fadens von feinem Leinen einen Ring an dem Dreifuß und versetzten diesen Ring in Schwingungen. Er kam über dem einen oder anderen Buchstaben zur Ruhe. Die Verschwörer schrieben sie nieder, und auf diese Weise beantwortete das Orakel ihre Fragen. Und zwar antwortete es in einem Versmaß, in delphischen Hexametern, so wie die Orakel der Alten. Es sagte, der nächste Kaiser würde ein in jeder Beziehung vollkommener Mann sein«, Festinus lächelte meinen Vater an, dann wandte er den Blick mit einem Achselzucken von ihm ab. »Und sein Name laute… das Orakel buchstabierte: THEOD – woraufhin einer der Verschwörer ausrief: ›Theodoros der Notar!‹ Ihn hatten diese verworfenen Männer bereits als den besten Kandidaten für den Purpur ausersehen. So befragten sie das Orakel also nicht weiter nach dem nächsten Kaiser, sondern stellten statt dessen Fragen bezüglich ihres eigenen Schicksals. Und es prophezeite wahrheitsgemäß, daß sie wegen dieses Versuchs, sich Einblick in die Mysterien des Schicksals zu verschaffen, allesamt auf höchst elende Weise zugrunde gehen würden.«
    Wieder lächelte er, dann goß er frischen Wein in seinen Becher und trank. »Außerdem hat Fidustius gestanden, dein Freund Euserios habe diese Neuigkeiten Theodoros dem Notar überbracht. Theodoros wurde aus Konstantinopel herbeigeschafft. Zuerst leugnete er alles, dann gab er zu, Kenntnis von dem Orakel zu haben, behauptete jedoch, er habe Euserios geantwortet, falls Gott ihn zum Kaiser auserkoren habe, dann sollten sie doch Gott und dem Wirken des Schicksals vertrauen, damit es sich erfüllen könne. Euserios behauptete unter der verschärften Folter zwar dasselbe, schließlich jedoch wurde Theodoros durch einen von eigener Hand geschriebenen Brief überführt. Es hatte wirklich einen Versuch gegeben, unseren erlauchten Gebieter zu ermorden, bevor dieses teuflische Komplott ans Licht gekommen war, aber niemand hatte geahnt, was dahinter steckte. Der Himmel selbst schützte unseren erlauchten Herrn Valens und ließ das Schwert seines Angreifers abgleiten.« Festinus stellte seinen Becher ab. »Doch jetzt, da der Anwärter tot ist, macht sich unser erlauchter Gebieter Sorgen. Hat sich das Orakel vielleicht getäuscht, oder haben die Verschwörer etwa einen falschen Schluß gezogen? Könnte ein anderer Theodoros gemeint gewesen sein? Weitere Nachforschungen sind im Gange. Ich für meinen Teil bin jedenfalls entschlossen, sie mit der unerbittlichsten Strenge durchzuführen, da unser gottesfürchtiger und scharfsichtiger Kaiser mir die Statthalterschaft dieser Provinz anvertraut hat. Und wenn ich einen Theodoros finde – einen reichen Mann edler Herkunft, der nur wenig Liebe für unseren allergütigsten Augustus bezeigte, als dieser von einem Thronräuber herausgefordert wurde; einen Mann, der mit einigen in diese Verschwörung verwickelten Verbrecher befreundet war; einen Mann, der darauf aus war, die Unterstützung seiner Mitbürger zu gewinnen und für dieses Vorhaben Tausende von Solidi in Gold ausgegeben hat – wenn ich einen solchen Mann finde, dann werde ich mißtrauisch.«
    Vater sah ihn hilflos an. Er machte einen völlig geknickten Eindruck, so, als drohe ihm bereits die Folterbank. »Ich habe nichts getan«, flüsterte er. »Gar nichts.«
    Festinus lachte. »Wenn ich dich so sehe, möchte ich es beinahe glauben. Nun, wenn du nichts getan hast, dann hast du auch nichts zu befürchten.« Hippokrates sagt, ein Arzt müsse seine Patienten sorgfältig beobachten, und es dürfe ihm nichts entgehen, falls er eine gute Diagnose stellen wolle. Ich hatte mich im Beobachten geübt. Jetzt beobachtete ich, trotz meiner Angst, Festinus. Er meinte es wirklich so, als er sagte, seiner Ansicht nach habe mein Vater sich nichts zu Schulden kommen lassen. In Wirklichkeit hatte er es wahrscheinlich die ganze Zeit über geglaubt. Dieses schlechte Schauspiel wurde aus irgendeinem anderen Grunde inszeniert. Vielleicht, um dem Kaiser zu beweisen, wie eifrig er gegen dessen Feinde vorging. Festinus war ein Fremder hier im Osten und hatte keine Freunde: Er mußte sich keine Gedanken darüber machen, wie andere mit ihm umspringen würden, wenn seine Amtszeit als Statthalter abgelaufen war. Er würde sowieso niemals von jemandem empfangen werden, es sei denn, er wäre offensichtlich ein Günstling des

Weitere Kostenlose Bücher