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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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hineinbeugte
     und einen Blumenstrauß und einen gefüllten Einkaufskorb hervorholte. Er war ein Mann, der an alles dachte und gewohnt war,
     die Dinge in die Hand zu nehmen.
    »Wenn Sie erlauben«, sagte er, »decke ich jetzt den Tisch.«
     
    Das Haus hat uns zusammengebracht, dachte sie später. Er kannte sich hier aus und fühlte sich sicher, und mir gefiel es, in
     dieser Umgebung mit ihm zu Abend zu essen und mich nachher mit hochgezogenen Füßen in einen Sessel zu kauern und zuzuhören,
     wie er von seinem letzten Prozeß erzählte. Ich fühlte mich anders als gewohnt, war in einem neuen Film.
    Das hatte schon begonnen, als ich mich umzog und darauf verfiel, meine Haare hochzustecken. Es veränderte mich. Ich sah es
     im Spiegel, sah es auch sofort an seinem Blick. Ich tat eigentlich nichts an diesem Abend, als ihm zuzuhören. Am meisten überzeugte
     mich, daß er nichts von mir wollte, obwohl es so nahelag in dieser Situation. Ich mußte mir nicht vorstellen, wie es sein
     würde, mit ihm im Bett zu liegen. Sicher wäre ich darauf eingegangen, wenn er es gewollt hätte, aber er machte keinen Versuch.
     Es gab so viel anderes, was wir tun konnten in diesen Sommertagen, wenn er manchmal schon am frühen Nachmittag kam. Wir spielten
     Boccia und Federball im Garten, er mit größeremEhrgeiz als ich. Wir saßen auf der Terrasse, tranken Tee und unterhielten uns, wir hörten Musik, sahen uns die Nachrichten
     im Fernsehen an. Dauernd ließ er mich wissen, wie er über das Leben und die Menschen dachte. Es war ein ständiger Überzeugungsversuch.
     Er plädierte für ein positives Denken, erklärte mir, daß positives Denken die Grundlage des Glücks und des Erfolgs sei. Man
     müsse an sich selbst und an die anderen Menschen glauben und versuchen, aus jeder Situation das Beste zu machen. Es gab immer
     schlechtere und bessere Möglichkeiten, und man mußte die besseren suchen und nicht aus dem Auge lassen. Der Mensch, sagte
     er, sei ein Wesen mit ungeheurer Zukunft, auch biologisch gesehen. Nur zehn Prozent unseres Gehirns nützten wir normalerweise
     aus. Riesige Reserven warteten darauf, aktiviert zu werden.
    Ich hörte nicht immer genau zu, aber ich ließ mich davon einhüllen. Hier in dem sommerlichen Garten erschien es so einleuchtend,
     daß er recht hatte. Wenn er da war und wir das Haus und den Garten benutzten, als lebten wir hier, fühlte ich mich nicht mehr
     von dieser Welt ausgeschlossen. Paul und Marlene, seine Freunde, würden auch meine Freunde werden, denn zu meinem Erstaunen
     schien er mich immer mehr in sein Leben einzubeziehen.
    Er kam zu jeder Gelegenheit, auch wenn es nur für eine Stunde war, machte aber keinen Versuch, mir näherzukommen. Wenn wir
     zum Abschied in der Diele standen, so nah beieinander, daß es fast unvermeidbar schien, sich zu umarmen, küßte er meine Hand
     und verschwand. Einmal, als er die Hand noch festhielt, legte ich meine andere Hand leicht gegen seine Brust und sagte, es
     sei ein wunderschöner Abend gewesen und ich wolle ihm dafür danken. Er antwortete seltsam formelhaft, der Dank sei auf seiner Seite. Dann nahm er meine andere Hand, führte auch sie kurz an seine Lippen
     und ging. Es war sehr höflich, sehr respektvoll, aber auch ein bißchen so, als fertigte er mich ab. Ich wußte nicht, was ich
     von ihm halten sollte. Einen Mann wie ihn hatte ich noch nie kennengelernt. Er war so fürsorglich und ernsthaft und überzeugt
     von der Bedeutung seines Berufes. Es fiel mir nicht auf, daß er mich nicht nach meiner Arbeit fragte, nur einmal zu Anfang,
     aus Höflichkeit und Konvention oder um eine Gesprächspause zu überbrücken. Ich gab ihm kurz Auskunft, und er kam nie mehr
     darauf zurück. Literatur interessierte ihn nicht. Und er kannte sich auch nicht damit aus, wohl aber mit der bildenden Kunst
     und der Architektur früherer Jahrhunderte. Darin war er im Unterschied zu mir fast ein Experte.
    Ich akzeptierte das alles, vielleicht deshalb, weil ich mit meiner Arbeit gescheitert war und er mich davon ablenkte, indem
     er immer von den Dingen sprach, die ihn beschäftigten. Ich war seit langem in eine Sackgasse geraten. Aber in seiner Nähe
     fühlte ich mich nicht schuldig, wenn ich nichts leistete, nichts zu sagen hatte. Ich merkte, daß ich meinen Ehrgeiz ablegte
     wie eine überflüssig gewordene alte Last.
    Er schien entschlossen, mir alles abzunehmen, denn dies war seine Art, sich mir zu nähern: nicht direkt, sondern auf dem Umweg
     über die

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