Der Liebeswunsch
scharrendes, rumpelndes Geräusch, und alle blickten zu der Tür
hinter dem Richtertisch hinüber, die in diesem Augenblick geöffnet wurde.
Zuerst kam er, groß, in seiner schwarzen Robe – der Kragen und die Ärmelstulpen aus schwarzem Samt. Dann folgten zwei andere
Richter, die sich rechts und links von ihm aufstellten, ganz außen dann die beiden Schöffen, ein Mann und eine Frau in Straßenkleidung.
Sie sah ihn inmitten dieser Menschenreihe, vor der sich alle Leute im Saal erhoben hatten, und fühlte sich schuldig und beschämt,
an ihm gezweifelt zu haben.
Die Hochzeit verlief heiter, nicht zuletzt, weil sie sich beim Aussteigen aus dem Auto den Fuß verknackste und gestützt auf
Leonhards Arm ins Standesamt humpeln mußte. Alle behaupteten, daß dies ein gutes Omen sei.
Sie fuhren mit dem Nachtzug nach Italien, verabschiedet von Paul und Marlene, die lange mit großen, weißen Taschentüchern
dem Zug hinterherwinkten.
»Sollen wir im Speisewagen noch etwas trinken?« fragte Leonhard.
Nein, sie war zu erschöpft und mußte sich hinlegen wegen ihres geschwollenen Fußgelenks. Er saß auf ihrer Bettkante, ein wenig
vorgebeugt, um sich nicht am Rahmen des oberen Bettes den Kopf zu stoßen.
»Geht es dir gut, mein Herz?« fragte er.
Sie nickte und lächelte ihn an, ein wenig matt.
»Wohl alles ein wenig eng hier für eine Hochzeitsnacht«, sagte er. »Was meinst du, Anja?«
»Laß uns erst in Italien in unserem Hotel sein.«
In der Nacht lag sie wach, gewiegt von den leichten Schwingungen des fahrenden Zuges. Sie spürte das Halten und Anfahren,
hörte die Namen der Stationen und hier und da ein Türenschlagen. Sie stellte sich die weggleitenden leeren Bahnsteige vor,
die dunklen Häusermassen der Städte, das nächtliche wolkenverhangene Land. Mit den Fingerspitzen betastete sie den Ring. Sie
war nun verheiratet. In dem Bett über ihr schlief ihr Mann.
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4
Auf der Hochzeitsreise
Sie schrieb von der Hochzeitsreise an ihre Mutter: »Italien ist wie ein Traum.« Das Wort hatte sich aufgedrängt für eine andere
Erfahrung, die sie nicht mitteilen, nicht einmal sich selbst eingestehen konnte. Erst Jahre später, als sie sich an die Reise
erinnerte, fiel ihr das richtige Wort ein. Sie hätte schreiben müssen: »Ich bin wie betäubt.« Aber auch das hätte sie näher
erläutern müssen, damit es nicht mißverstanden wurde als ein anderer Ausdruck für das Überwältigtsein. Nein, sie hatte sich
während der ganzen Reise nur oberflächlich anwesend gefühlt. Fast alles, was sie besichtigten, blieb ihr fremd, auch die berühmten
Gebäude und Kunstwerke, die sie irgendwann in Abbildungen gesehen hatte und nun wiedererkannte und für die Leonhard von ihr
eine ständige Aufmerksamkeit verlangte.
Vor allem seine Sprechweise und seine Stimme strengten sie an, der dozierende Ton, mit dem er sich zwischen sie und die besichtigten
Kunstwerke und Szenerien schob. Sie war fast immer sofort gelangweilt, gestand es sich aber nicht ein oder versuchte, es wenigstens
vor ihm zu verbergen. Dies war ihre sorgfältig von ihm geplante Hochzeitsreise, und sie wollte ihn nicht enttäuschen. Daß
er meistens belehrend und langweilig sprach, hing natürlich auch damit zusammen, daß sie für ihn nicht die richtige Gesprächspartnerin
war. Manchmal sagte sie zwar, daß sie ein Bild schön undein Bauwerk großartig fände, wagte sich aber aus Furcht vor ihrer Unzuständigkeit nicht weit über solche Phrasen hinaus. Leonhard
schien das nicht zu stören. Ihm war es selbstverständlich, daß er mehr wußte als sie, und wahrscheinlich gewann er daraus
seine Sicherheit. Daran wollte sie nicht rühren, nicht während dieser Reise. Sie mußten diese Reise ohne Krisen und ohne Konflikte
überstehen, dann würden sie zu Hause einen besseren Anfang finden. Sie wunderte sich darüber, daß sie das dachte. Aber es
ging eine gewisse Beruhigung von diesem Gedanken aus.
Die erste Station war Florenz. Sie blieben fünf Tage, einschließlich eines Tagesausfluges nach Siena. Sie wohnten in einer
auf einem Hügel am nordöstlichen Stadtrand gelegenen Pension, einem alten Landhaus, von dessen parkähnlichem Garten aus man
über eine weite, mit Olivenbäumen bestandene Talmulde zu der bewaldeten Anhöhe von Fiesole hinüberblickte. Die Adresse hatten
sie von Paul und Marlene bekommen, die stets einige Tage hier wohnten, wenn sie nach Italien fuhren. Das Haus und der inzwischen
mehrfach
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