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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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der Gesellschaft? Ich habe mir Sorgen gemacht.«
    »Ich wollte nicht stören. Bitte lass mich durch, ich habe noch etwas Dringendes zu erledigen.«
    »Jetzt?«
    »Ja, jetzt.«
    Er nahm ihre Hände, um sie aufzuhalten. »Du bist ganz kalt. Und du siehst aus, als hättest du etwas Entsetzliches erlebt. Schnell, geh in mein Arbeitszimmer.« Er drängte sie zur Tür und öffnete sie. »Ich folge gleich.«
    Marie-Anna legte den Umhang ab und wärmte die klammen Hände am Kaminfeuer. Doch nicht lange. Sie setzte sich an den Schreibtisch, nahm einen der Briefbögen, die dort bereitlagen, und tauchte die Feder in das Tintenfass. Aber dann schwebte ihre Hand unschlüssig über dem Papier.
    »Wem willst du schreiben?«, fragte Valerian, der leise zu ihr getreten war.
    »Dem Kaiser.«

    »Und was?«
    »Ein Gnadengesuch für meinen Vater.«
    »Himmel, Kind, was ist geschehen?«
    »Ich habe soeben einen Spaziergang mit Seiner Majestät, dem Kaiser Napoleon Bonaparte, durch die Stadt gemacht.«
    »Das wirst du mir leider etwas genauer erzählen müssen.«
    Sie tat es.
    »Großer Gott!«, entfuhr es ihm, als sie fertig war.
    Es klopfte an der Tür, und Valerian ging, um sie einen Spalt zu öffnen.
    »Romain, komm herein. Das musst du dir anhören!«, forderte er, als er Faucon erkannte, der sich verabschieden wollte. In kurzen Worten wiederholte er Marie-Annas Erlebnis. »Wenn mir das ein anderer als Marie-Anna erzählt hätte, würde ich es nicht glauben«, schloss er.
    »Warum nicht? Auch der Kaiser mag das Bedürfnis haben, sich inkognito unter das Volk zu mischen. Marie-Anna, das Gesuch sollten Sie auf jeden Fall einreichen.«
    »Ja, noch heute Nacht. Ich weiß. Aber mir fällt nichts ein. Ich weiß nicht, wie man so etwas aufsetzt.«
    »Dann diktiere ich Ihnen. Wenn ich etwas beherrsche, dann amtliche Schreiben zu formulieren.«
    Eine halbe Stunde später war das Gesuch fertig, und Faucon erklärte sich bereit, es noch in der nächsten Stunde im Palais Zuydtwyk abzugeben.
    »Du bleibst jetzt besser in meinen Räumen. Die Gäste verabschieden sich allmählich. Ich muss noch ein paar Worte mit ihnen wechseln, aber heute Nacht möchte ich dich endlich wieder bei mir haben, Anna.
    »Valerian, ich bin so erschöpft, ich schlafe gleich im Sitzen ein.«

    Er lachte vergnügt auf, hob sie auf die Arme und trug sie ins Schlafzimmer.
    »Besser im Liegen als im Sitzen. Und nachher darfst du über meine Dienste als Kammerzofe verfügen.«
     
    6. November 1811. Ich sollte glücklich sein, denn mein Vater wird wohl begnadigt werden, und Valerian will mich zu seiner Frau machen. Doch der unerwartete Auftritt von Madame macht mir Angst. Ich kann nicht sagen, warum ...
     
    »Mit diesem Eintrag endet das vierte Tagebuch.«
    Unser fünfter Tag in der Bretagne neigte sich dem Abend entgegen. Cilly saß grüblerisch am Kamin, Rose starrte aus dem Fenster. Ich hatte den letzten Teil erzählt und trank durstig meine Weinschorle.
    »Es sind die letzten Aufzeichnungen von Marie-Anna, nicht wahr?«
    »Ja, die letzten in ihrer Handschrift.«
    »Und doch gibt es ein fünftes Buch. Ich habe darin rumgeblättert«, sagte Cilly. »Zeitungsartikel, Anzeigen, ein paar Eintragungen in deutscher Sprache.«
    »Wir enden so, wie wir begonnen haben. Wir vervollständigen die Geschichte nach den Fakten, die wir haben, und unserer Kenntnis der Charaktere«, schlug ich vor.
     
    Wir brauchten nicht viel Phantasie aufzuwenden, um Marie-Annas Schicksal nachzuvollziehen. Das fünfte Buch gab uns Aufschluss darüber.
    »Kommt, lasst es uns zu Ende führen«, bat Rose. Cilly schloss sich ihr an.
    »Ja, bringen wir es hinter uns. Diese letzten Seiten sind in Deutsch, wir brauchen uns nicht mit der Übersetzung herumzuquälen. Ich habe den Verdacht, Graciella hat sie selbst geschrieben.«

    »Na gut, lest ihr sie durch, ich hole uns etwas zu knabbern.«
    Meine Schwester übernahm den letzten Teil der Geschichte.

Tagebuch 5

32. Kapitel
    Die goldene Fibel
    »Gestern habe ich noch die Zeichnung davon angefertigt, Marie-Anna. Jetzt ist sie fort!«
    »Wer?«
    »Eine Fibel, Gold, mit Emaille-Arbeit und Achaten. Ein wunderhübsches Stück.«
    »Nachdem du sie im Katalog aufgenommen hast?«
    »Ja. Das ist ungewöhnlich, nicht? Die anderen Sachen, die bisher gefehlt haben, sind stets verschwunden, bevor wir sie überhaupt in der Hand hatten.«
    »Nicht ganz. Früher sind auch Teile entwendet worden, die bereits katalogisiert worden waren. Bei den Fällen in der letzten Zeit hast

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