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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nichts daran ändern. Ich werde die Herren auf jeden Fall sofort zu Faucon begleiten. Wir werden dies sehr schnell klarstellen. Kümmere du dich bitte um Graciella.«
    Ein weiterer Mann polterte die Treppe hoch. Es war der Arzt, den Madame und Berlinde zu konsultieren pflegten. Er stellte seine Tasche neben Ursula Raabe ab und untersuchte sie. Dann erhob er sich und teilte mit tragischem Ton den Befund mit.
    Madame war tot. Sie hatte sich bei dem Sturz den Hals gebrochen.
    »Würden Sie bitte auch feststellen, ob Madame unter Alkoholeinfluss gestanden hat, Doktor?«
    »Herr Kommerzialrat!«
    »Doktor, Sie wissen ganz genau, dass die Verstorbene den geistigen Getränken mehr als reichlich zugesprochen hat. Stellen Sie es also fest!«
    »Wollen Sie die Verblichene dem unbotmäßigen Gerede aussetzen?«
    »Hören Sie, Sie verdammter Quacksalber, ich kann ihre Fahne bis hierhin riechen. Stellen Sie es fest. Und vermerken Sie es in Ihrem Bericht.«
    Damit verließ Valerian Raabe, flankiert von den Gendarmen, das Haus. Marie-Anna aber führte Graciella in ihr eigenes Zimmer.

    »Petite, Ciella! Komm her.«
    Sie nahm das zitternde Mädchen in die Arme und wiegte sie leicht hin und her. Ganz allmählich wurde sie ruhiger und lehnte sich dann an Marie-Annas Schulter.
    »Was ist passiert? Kannst du mir etwas dazu sagen, Ciella? Hast du etwas mitbekommen von der ganzen Sache?«
    Graciella nickte und holte ihr Taschentuch heraus. Doch sie schnäuzte sich nicht, sondern drehte es zu einem festen Strick zwischen ihren Fingern.
    »Ja, ich habe alles mitbekommen.«
    »Du Arme.«
    »Nein, Marie-Anna. Nicht: du Arme. Nenn mich lieber Mörderin. Ich habe meine Mutter umgebracht.«
    »Graciella, ich glaube dir nicht. Berichte von Anfang an.«
    »Ich habe es getan.« Sie atmete tief durch. »Rosemarie und ich wollten dir helfen. Wir beide hatten den Verdacht, dass Mama die Fibel genommen hat, um sie dir unterzuschieben, um dich dann des Diebstahls zu bezichtigen, damit Papa dich rauswirft. Rosemarie behauptete, es seien noch mehr Sachen abhanden gekommen. Darum habe ich Mama den Kakao, den sie vor dem Zubettgehen immer trinkt, selbst ins Zimmer gebracht. Sie saß noch mit Berlinde zusammen und hat ihren Liqueur gesüffelt. In die Schokolade habe ich ein Schlafmittel hineingetan.«
    »Woher hast du denn ein Schlafmittel?«
    »Als ich letzten Sommer krank war, habt ihr mir manchmal eines gegeben, erinnerst du dich noch?«
    »Ja, das braune Fläschchen mit den bitteren Tropfen. Meine Güte, das war Laudanum. Hattest du das noch?«
    »Es stand die ganze Zeit in meiner Wäschekommode.«

    »Sie hat es also in ihrem Kakao zu sich genommen und ist zu Bett gegangen.«
    »Ja, so um zehn herum. Eine halbe Stunde später hat sie tief und fest geschlafen, und Berlinde ist in ihr Zimmer runtergegangen. Danach ist Rosemarie hineingeschlüpft und hat ihre Laden und Schränke durchsucht. Ich habe an der Türe Wache gehalten. Sie hat ein bisschen Zeit gebraucht, doch sie hat diesen Schmuck gefunden, den sie vorhin noch in der Hand gehalten hat. Aber dann ist ihr der Deckel der Truhe aus der Hand geglitten und mit einem lauten Klapp zugeschlagen. Davon ist Mama wach geworden. Sie ist aus dem Bett gewankt und auf Rosemarie zugetorkelt. Die ist zur Seite gesprungen, und Mama ist fast über mich gefallen. Vermutlich war sie gar nicht richtig wach. Jedenfalls ist sie aus dem Zimmer gestolpert und hat ›Diebe, Einbrecher!‹ gekreischt. Sie stand einen Moment auf dem Treppenabsatz, schwankte hin und her, versuchte das Geländer zu fassen. Unten war Berlinde aufgetaucht und kreischte ebenfalls. Mama machte einen Schritt nach vorne, glitt aus und fiel die Treppe hinunter. Ganz langsam. Es war grässlich anzusehen. Wie eine große Stoffpuppe. Unten blieb sie bewegungslos liegen. Berlinde ist rausgelaufen und hat auf der Straße Zeter und Mordio geschrien, und darum kamen die Gendarmen sofort angerannt. Ja, so war das.«
    »Ein Unfall, Ciella.«
    »Nein. Hätte ich ihr nicht das Schlafmittel in den Kakao getan, wäre das nicht passiert. Darum ist sie schließlich die Treppe hinuntergefallen.«
    »Wäre Rosemarie nicht der Truhendeckel entglitten, wäre sie nicht aufgewacht. Hätte ich nicht mit deinem Vater das Haus verlassen, wärt ihr überhaupt nicht auf die Idee gekommen, ihr Zimmer zu durchsuchen. Hätte sie nicht so viel von ihrem Liqueur getrunken, wäre sie
wahrscheinlich nicht so benommen gewesen. Und, Graciella – wäre sie nicht eine so unglückliche

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