Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
du allerdings Recht.«
    »Früher ist auch schon etwas abhanden gekommen?«
    »Ja, schon ziemlich lange, Rosemarie. Frag mal Faucon danach. Er hat mir den Auftrag gegeben, danach zu forschen. Deswegen bin ich überhaupt hier ins Haus gekommen.«
    »Marie-Anna!«
    »Es ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie dir und Graciella, wenn wir auf das Gut fahren, einverstanden? Hier lauschen zu viele.«
    Sie saßen am Tag nach Marie-Annas unerwartetem Treffen wie gewöhnlich im Arbeitszimmer neben der Bibliothek und nahmen Beschriftungen vor. Erst am Wochenende wollten sie aufbrechen, und Rosemarie hatte sich gerne bereit erklärt, sie zu begleiten. Ihr Verhältnis zu Faucon war dadurch wieder etwas hoffnungsvoller geworden, und Marie-Anna hatte das Gefühl, sie
freunde sich so allmählich mit dem Gedanken des Ungehorsams gegen ihren Vater an.
    Unerwartet trat Ursula Raabe in den Raum und lugte den beiden jungen Frauen über die Schulter.
    »Und, sind diesmal ein paar hübschere Kleinigkeiten dabei als der Plunder, den mein Gatte ansonsten von meinem Geld ersteht? Angelaufenes Silber, zerbrochene Tonfiguren, verbogene Kreuze und modrige Bücher. Pft!« Sie blätterte die Seiten durch, die lose auf dem Tisch aufgestapelt waren. »Ah, Rosemarie, was du hier gezeichnet hast, das ist nett. Was ist es?«
    Rosemarie warf einen Blick auf die Zeichnung.
    »Eine Gewandfibel, Madame. Man benutzte sie, um Kleider an der Schulter zu schließen.«
    »Reizend. Zeig sie mir einmal.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Ja, aber warum denn nicht?«
    Marie-Anna bemerkte trocken: »Sie ist bereits im Archiv. Sie werden Monsieur darum bitten müssen, sie Ihnen zu zeigen.«
    »Ach, im Archiv, sagst du? Nun, ich werde ihn fragen.«
    Sie rauschte wieder hinaus.
    »Was sollte denn der Auftritt?«
    »Sie führt was im Schilde, wenn du mich fragst. Ich hoffe, Onkel Valerian regelt seine Angelegenheiten bald und gründlich mit ihr. Wusstest du, dass sie in ihrem Zimmer Liqueur und Berge von Süßigkeiten gehortet hat?«
    »Woher weißt du das?«
    »Mathilda hatte den Auftrag, das Zimmer gründlich zu reinigen, als Madame fort war. Ich kam dazu, als sie das Zeug rausschleppte.«
    »Tja, Valerians maßvolle Lebenshaltung liegt ihr wahrlich fern.«

    Madame hatte sich bei Valerian nach der Fibel erkundigt, und es wurde festgestellt, dass sie nicht auffindbar war. Beim gemeinsamen Abendessen machte sie ein großes Getue darum, was zwar von dem Hausherren, Marie-Anna und Rosemarie mit Schweigen übergangen, aber von Berlinde und dem Professor mit gebührender Empörung aufgenommen wurde.
    Nach der Mahlzeit, als man sich in den Salon begab, bat Marie-Anna Graciella: »Würdest du mir bitte meinen blauen Shawl aus dem Zimmer holen? Mir ist etwas kalt in diesem Kleid, und im Salon zieht es so.«
    »Natürlich. Ich wollte mir selbst einen umlegen.«
    Sie blieb eine Weile fort, kam dann aber mit dem gewünschten Kleidungsstück über dem Arm zurück. Doch ihr Gesicht hatte einen seltsamen Ausdruck.
    »Hier, Marie-Anna.«
    Sie reichte es ihr, aber gleichzeitig drückte sie ihr darunter etwas Kleines, Hartes in die Hand. Marie-Anna warf einen kurzen Blick darauf und stutzte. Die Gewandfibel lag in ihrer Hand. Rasch ließ sie sie in ihrer Kleidertasche verschwinden.
    »Lag zwischen deinen Bürsten auf dem Toilettentisch«, wisperte Graciella ihr ins Ohr.
    Madame beobachtete ihre Tochter mit aufmerksamen Blicken und fragte scharf: »Was hast du zu tuscheln, Graciella?«
    »Ach, nichts, Mama.«
    »Wenn es nichts war, kannst du es auch laut sagen!«
    »Ich habe Marie-Anna nur gesagt, dass ich ihren Shawl schöner finde als meinen.«
    »Den hat ja auch dein Vater ausgesucht. Für eine Gouvernante, egal wie adelig sie sein mag, ein höchst unpassendes Stück!«
    »Ursula, halten Sie sich mit Ihren Bemerkungen zurück.« Valerian war gerade in den Salon getreten und sah
Rosemarie und Marie-Anna an. »Ich habe Karten für ein Konzert, das die Société heute veranstaltet. Möchtet ihr beide mich begleiten?«
    »Verzeih, Onkel Valerian, ich habe leichte Kopfschmerzen und würde gerne zu Hause bleiben.«
    »Nun gut. Und Sie, Marie-Anna?«
    »Gerne, Monsieur.«
    »Valerian Raabe, Sie unterstehen sich, sich mit einer Bediensteten des Hauses in der Gesellschaft zu zeigen?«
    »Gewiss, Madame.« Und zu Marie-Anna gewandt fragte er: »Werden Sie in einer halben Stunde bereit sein?«
    »Natürlich«, antwortete sie und verließ mit einer höflichen Verbeugung vor Madame den Raum.

Weitere Kostenlose Bücher