Der Lippenstift meiner Mutter
saß Bartek gerne hier. Viele müßige Stunden hatte er schon im Wenecja verbracht. Er beobachtete die Straße, studierte die sieben Gangarten von Dolina Ró ż , rauchte eine oder zwei Zigaretten (möglichst unauffällig, was eine große Kunst war, da ihn so gut wie jeder als den Sohn der Lehrerin Stasia und als das Schusterkind kannte) und trank eine Flasche Pepsi-Cola nach der anderen, da ihm die Kellnerin Jagoda keinen Alkohol verkaufen wollte (den bekam er dafür ohne Probleme in der Bierbar des Piracka , wo er lediglich darauf aufpassen musste, dass er dort keinem der blonden Onkel und schon gar nicht seinem Vater in die Arme lief, was eine große Kunst war).
Das Café Wenecja wurde vor allem von Mädchen der Nähschule und des Gymnasiums, ferner von Großmüttern und Tanten und manchmal auch von besoffenen Männern jeden Alters besucht, das Eis hier war das beste von ganz Dolina Ró ż , und die Frauen hier waren die besten, die schönsten weit und breit.
Einmal hatte Bartek die Tochter von Herrn Lupicki ins Wenecja eingeladen, die dachte, der Junge wolle ihr eine schlimme Klatschgeschichte, die ihre nicht aufhören wollenden Liebschaften beträfen, auftischen. Ja, die Leute redeten sich über ihre Liebschaften den Mund wund, die alten Weiber zeigten auf der Straße mit dem Finger auf Mariola und ihren Busen und Hintern und erzählten sich: »Da, schaut! Da geht sie wieder zu einem Rendezvous mit einem verheirateten Mann, diese Hure! Diese Hure!«
Doch Bartek wollte Mariola aus einem ganz anderen Grund im Wenecja treffen. Er hatte es gründlich satt, Nacht für Nacht im Bett zu liegen und darauf zu warten, bis sein Bruder Quecksilber eingeschlafen war, damit er endlich mit dem dunkelsten Teil der Nacht beginnen konnte: mit den Träumen von der schönen Meryl Streep und ihrem Körper. Er masturbierte dann unter der Bettdecke und dachte abwechselnd an Mariola und seine Meryl. Er hatte mit der Masturbation sehr früh angefangen, beziehungsweise das dunkle süße Tal der Selbstbefriedigung sehr früh betreten − im Alter von elf Jahren nämlich. Am Anfang hatte er immer wieder an seine Mutter und Tanten gedacht, während er es getan hatte, und nun war er froh, dass er, seitdem er »Die Geliebte des französischen Leutnants« im Kino Zryw gesehen hatte, in seinen Träumen Meryl Streep und später eben auch Mariola für einen Liebesakt engagieren konnte − als exzellente Verführerinnen waren sie ihm diese Gefälligkeit schuldig, fand er. Und es kam ihm jetzt ekelerregend vor, dass er früher einmal beim Träumen vom dunklen süßen Tal immer nur an die Mutter und ihre Schwestern gedacht hatte, an ihre Unterwäsche und Kosmetika. Sie waren ja tatsächlich schamlose Biester und Spielzeugpuppen ihrer blonden Ehemänner und Liebhaber: Die Töchter von Oma Olcia paradierten zu Hause meistens nackt oder im Bikini, wenn sie Wäsche in der Waschmaschine Frania wuschen oder Hemden, Tischdecken und Bettlaken bügelten. Dieses nackte Hin-und-her-Stolzieren in der Wohnung hatte Barteks sexuelle Begierde erweckt und seinem kleinen aufstrebenden und nach Anerkennung trachtenden Penis Leben eingehaucht; es war ein Aufruf zum Handeln, der immer noch Morgen für Morgen und Nacht für Nacht erklang.
Aber das Masturbieren empfand er irgendwann als anstrengend und zum Schluss als unbefriedigend, zumal seine Meryl die Leinwand im Kino Zryw ungern verließ − üblicherweise nur für ein kurzes Gespräch −, und er fühlte sich außerdem von Maria und Jesus, die in der St.-Johann-Kirche wohnten, behelligt. Er begann von einem echten Frauenkörper aus Fleisch und Blut zu träumen, und er hatte sich gedacht, dass ihm Mariola einen großen Dienst erweisen könnte. Denn schließlich wusste ja jeder, dass sie gerne mit Männern ins Bett ging, mit jungen und alten, verheirateten und ledigen, mit Bonvivants und Verrückten. Sie war bloß wählerischer als die Hure Marzena, die für Geld selbst Norbert befriedigte, wovon Herr Lupicki nichts wusste. Die blonden Schwager amüsierten sich köstlich, indem sie seinem Sohn gelegentlich einen Besuch bei der Hure Marzena bezahlten.
Und als Bartek im Wenecja die Krankenschwester fragte, ob sie ihn nicht in die Geheimnisse der Liebeskunst einweihen möge, bekam sie einen Wutanfall und schrie ihn an: »Geh doch zu deiner Mama! Sie wird dir alles, was du wissen willst, erklären!«
Anschließend hatte sie noch Barteks Mutter derb und aggressiv beschimpft, sie sei eine wirkliche Hure, sie habe
Weitere Kostenlose Bücher