Der Lockvogel
normalerweise einen Bogen um Ehefrauen machte – gleich, ob es sich um ehemalige oder aktuelle handelte –, hatte er sogar vor, Mrs. Lock aufzusuchen, die ihren Mann offenbar verlassen hatte und nach London gezogen war.
Onders Namen zu sehen, schien ihm ein Glücksfall zu sein. Eine von Websters besseren Rechercheurinnen hatte sich durch eine Liste von Unternehmen gearbeitet, die mit Faringdon oder Langland Geschäfte gemacht hatten, und nach einiger Wühlerei herausgefunden, dass es sich bei der mysteriös klingenden Katon Services LS um einen Teil von Onders Ölhandelsimperium handelte. Webster war nicht überrascht, hier auf ihn zu stoßen: Als Onder ihn vor Jahren einmal engagiert hatte, war es um eine russische Angelegenheit gegangen. Es wäre seltsam gewesen, wenn seine und Malins Wege sich niemals gekreuzt hätten.
Es war Freitag und der erste Tag, der sich nach Herbst anfühlte. Sie hatten vereinbart, sich an diesem Morgen in Onders Londoner Büro zu treffen. Webster bedauerte, dass Onder nicht in Istanbul war, einem der wenigen Orte, an die er immer gerne reiste. Er und Elsa hatten dort vor Jahren im Dezember die Hälfte ihrer unorthodoxen Flitterwochen verbracht (die andere Hälfte an der Küste bei North Berwick, wo es so kalt gewesen war, dass dicker Raureif das Dünengras überzogen hatte), und er hoffte, sie eines Tages wieder dorthin mitzunehmen.
Statt im Hotel Pera Palace stand Webster also an diesem Morgen in seiner Küche und tat sein Bestes, um das Haus zu verlassen. Er war früh aufgewacht und mit dem Fahrrad
zum Hampstead Heath Park gefahren, um in dem für beide Geschlechter offenen Mixed Pond zu schwimmen, dessen kühles Wasser langsam eiskalt wurde. Als er zurückkam, machte er Porridge für sich und die Kinder und brachte Elsa Tee ans Bett, duschte, rasierte sich und zog den gleichen Anzug wie am Vortag an, wobei er entschied, dass Onder wahrscheinlich keine Krawatte erwartete, auch wenn die Gelegenheit eigentlich eine verlangte. Webster bevorzugte seriöse und schlichte Kleidung: dunkle Einreiher, marineblau oder anthrazit, mit weißen Hemden und dunklen Krawatten ohne Muster. Alles war von guter Qualität und etwas abgetragen. Elsa hatte ihm einmal gesagt, dass er immer wie jemand aussah, der eine schlechte Nachricht überbringen muss, einen Todesfall oder eine Entlassung, und er hatte ihr geantwortet, dass niemand einen Privatermittler wollte, der als Lackaffe daherkam.
Während er durch den frisch mit Reif bedeckten Queen’s Park zur U-Bahn ging, dachte er an Lock. Er dachte immer öfter an ihn. Inzwischen sollte er sich unbehaglich fühlen. Er musste den Artikel gelesen haben – besser gesagt die Artikel, weil ein paar andere Zeitungen die Story aufgegriffen hatten. Webster hatte Hewsons Artikel in der Times gefallen, aber er war überrascht gewesen, dass er nicht größere Kreise gezogen hatte; er hatte erwartet, diesem ersten Artikel würde bald ein zweiter folgen. Er sollte Gavin noch einmal anrufen. Vielleicht war es egal: Webster hatte auch mit der FT gesprochen, mit dem Journal , mit Forbes , und er war sicher, dass noch mehr erscheinen würde. Er wollte Lock das Gefühl geben, dass ein Prozess in Gang gekommen war, den niemand aufhalten konnte.
Was Lock jedoch wirklich verunsichern musste, waren
die Anrufe von Freunden. Niemand hörte gerne, dass Nachforschungen über ihn angestellt werden. Selbst wenn man nichts zu verbergen hatte, fragte man sich unwillkürlich, ob es nicht doch einiges zu finden gab; und wenn man, wie Lock, sein ganzes Berufsleben damit verbracht hatte, Dinge zu verbergen, machte einen so etwas in der Regel entschieden nervös. Doch für Webster war dies eine seltsame Art zu operieren: Er verbrachte so viel seiner Zeit damit, im Verborgenen Fragen zu stellen, dass er es selbst ein wenig unangenehm fand, offen zu operieren.
Auch Gerstman hatte wahrscheinlich Lock angerufen – es sei denn, er war fest entschlossen, sich aus Russland herauszuhalten. Und diese ganzen Offshore-Direktoren würden mit Sicherheit ihrem Klienten Bericht erstatten. Webster fragte sich, was Lock an Malin weiterleiten würde. Von außen gab es keine Möglichkeit festzustellen, wie eng die beiden zusammenarbeiteten, und die Informationen dazu waren unterschiedlich. Der Schotte hatte den Umgang der beiden als »freundschaftlich, aber nicht eng« beschrieben, während andere, die die russische Ölindustrie gut kannten, Lock ebenso wie Tourna einfach für einen Strohmann
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