Der Lockvogel
hier.«
»Stimmt. Allerdings eher zufällig, nicht absichtlich.« Onder lächelte. »Ich würde Ihnen Kaffee anbieten, aber ich müsste ihn selbst kochen, und deswegen würde er schauderhaft schmecken. Hier ist sonst nie jemand.«
»Das geht schon in Ordnung. Ich versuche sowieso, keinen mehr zu trinken.«
Sie saßen einen Moment lang da und schauten sich an. Onders Augen waren von einem dunklen, fast stahlfarbenen Blau. Er hatte einen freundlichen, aber ausgesprochen festen Blick. Webster war sich nicht sicher, wie lang er dem Blick standhalten sollte – eigentlich war er sich nie sicher, was diese kleinen Taxierspielchen bezweckten, die einige Klienten so schätzten. Er beschloss, den Anfang zu machen.
»Danke, dass Sie mich kurzfristig empfangen haben.«
»Ich bitte Sie, ich helfe immer gerne.« Onder handelte nicht nur mit Öl, sondern unter anderem auch mit Druckerpatronen. Drei Jahre zuvor hatte Webster eine gewaltige Ladung von einem russischen Großhändler zurückgeholt, der vergessen hatte, zu bezahlen. Seitdem mochte Onder Ikertu.
»Ich wollte am Telefon nicht darüber sprechen, aus Gründen,
die Sie hoffentlich verstehen werden. Es geht um Konstantin Malin.«
Onder schaute ihn erneut forschend an, die Augen leicht zusammengekniffen.
»Malin.« Er hob die Augenbrauen einen halben Zentimeter. »Sie haben ja mit reizenden Leuten zu tun.«
»Ich weiß. Er ist allseits beliebt. Ich hatte gehofft, dass Sie mir etwas über ihn erzählen können. Wenn er natürlich Ihr Geschäftspartner ist und Sie deshalb lieber nichts sagen wollen, beenden wir das hier einfach sofort.«
Onder schaute ihn immer noch an. Dann lachte er und unterbrach den Blickkontakt.
»Nein, Konstantin und ich werden keine Geschäfte mehr miteinander machen. Es gibt einen Typus von Russen, die denken, dass es okay ist – nein, dass es clever ist –, andere übers Ohr zu hauen, sobald sich die Gelegenheit bietet. Sobald sie Geld machen können. Sie rechnen damit, dass sofort ein anderer Narr daherkommen wird und dass die Welt voller Narren ist. Eines Tages werden sie ihren Irrtum erkennen.«
»Das hoffe ich«, sagte Webster. »Wie viel schuldet er Ihnen?«
»Ehrlich gesagt hat er mir kein Geld abgenommen. Er hat nur eine Vereinbarung nicht eingehalten. Ich muss mir jetzt russisches Öl woanders besorgen. Das ist alles. Es hat mich eine Menge Geld gekostet, aber ich kann nicht behaupten, dass er mich bestohlen hat.«
»Gibt es ein Woanders?«
»Ja, das gibt es. Er kontrolliert nicht alles. Noch nicht.«
»Haben Sie sich mit ihm getroffen?«
»Oh ja, ein- oder zweimal.« Er lächelte Webster an. »Vielleicht
sollten Sie mir jetzt sagen, warum Sie das interessiert?«
Webster erzählte Onder die Geschichte. Als er Tourna erwähnte, schnaubte Onder verächtlich. »Dieser Ganove! Mein Gott, das ist ein Krieg zwischen Dieben. Ich dachte, dass Sie mehr Wert auf die Auswahl Ihrer Klienten legen.« Er lächelte Webster an, der zurücklächelte und weitersprach. Er erklärte, was Tourna wollte und was jetzt seine eigene Priorität war: Lock.
»Sie wollen Malin zu Fall bringen? Viel Glück. Ein nobles Unterfangen.«
»Ich weiß. Wir bekommen nicht oft die oberen Zehntausend vor die Flinte.«
Onder lächelte. »Ich kenne Richard«, sagte er. »Ziemlich gut. Ich habe meine Geschäfte anfangs mit Dmitri Gerstman gemacht, doch als er gegangen ist, habe ich mich geweigert, mit dem Strolch zu verhandeln, den sie an seine Stelle gesetzt haben. Ich hatte kein Vertrauen zu ihm – einer vom neuen Schlag, der dem ganz alten Schlag sehr ähnlich ist. Man konnte sich leicht vorstellen, wie er um fünf Uhr morgens Leute verhaftet. Also schickten sie mir Lock. Ich mochte ihn. Kein Ölmann, aber absolut brauchbar. Ein ziemlich schlichter Charakter. Ich glaube nicht, dass er wirklich dorthin gehört.« Sie sprachen eine Zeit lang über Lock und Malin, Malin und Lock, und Webster hatte das Gefühl, die beiden allmählich zu verstehen. Wenn man Malin traf, erzählte ihm Onder, war sofort klar, dass es sich bei ihm um »ein Geschöpf der Sowjets« handelte. Er wurde geboren, als Stalin noch an der Macht war, wuchs unter Breschnew heran und arbeitete ein Vierteljahrhundert lang, bevor Gorbatschow, der seinen Job zu gut gemacht hatte, gehen musste und schließlich Jelzin
erschien. Wenn man Malin vor die Wahl stellte, würde er die kommunistische Herrschaft morgen wieder einführen, nicht, weil er den Kapitalismus verachtete und seine Segnungen nicht
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