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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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theatralisch: österreichisch, dachte Webster. »Ich bin gerade bei Nina Gerstman, Mr. Webster. Sagt Ihnen das etwas?«
    Webster antwortete wahrheitsgemäß, dass dem nicht so war.
    »Ich bin seit heute Morgen bei Nina Gerstman, Mr. Webster. Sie versucht zu verstehen, wer für den Tod ihres Mannes verantwortlich ist.« Prock machte eine Pause. Webster, völlig aus dem Gleichgewicht gebracht, sagte nichts, sein Kopf war leer bis auf eine vage, beklemmende Angst. »Denn jemand ist für seinen Tod verantwortlich, und ich glaube, dass Sie es sind. Ich glaube, dass Sie es sind, Mr. Webster. Ich habe es ihr nicht gesagt, weil sie nicht wissen soll, dass etwas so Triviales «, Prock, der vorher leise geredet hatte,
schrie das Wort fast heraus, »etwas so Sinnloses ihren Mann umgebracht haben könnte. Was denken Sie, Mr. Webster?« Jetzt wieder leise. »Was denken Sie?«
    Webster fühlte einen scharfen Schmerz in seiner rechten Schläfe. Er war auf und ab gegangen, blieb aber jetzt stehen und blickte zu Boden. Er drückte seine Hand gegen seine Augen und sah Gerstman auf dem Rücken liegen, makellos in einen Anzug gekleidet, sein weißer Hemdkragen rot von Blut.
    »Ich begreife das nicht. Was ist passiert?«
    »Sie wissen nicht, was passiert ist? Ich dachte, Sie wissen alles, was passiert. Ich dachte, das sei Ihr Job.« Die Leitung war einen Augenblick lang still. »Sie wissen es nicht? Dann will ich es Ihnen sagen. Vor zwei Wochen haben Sie Dmitri Gerstman bedroht, damit er sich mit Ihnen trifft. Heute Morgen in Budapest ist er getötet worden. Sie werden ohne Zweifel losrennen und den Rest herausfinden. Sehen Sie, Mr. Webster? Sie wissen nicht alles. Überhaupt nicht. Sie wissen gar nichts. Und was Sie nicht über Dmitri Gerstman wussten, hat ihn umgebracht. Sie waren es, der das getan hat. Sie waren es, der ihn gestoßen hat. Ich wollte, dass Sie das wissen.«
    Webster öffnete die Augen. Eine Gruppe trainierender Läufer, jeder von ihnen mit einem Rucksack beladen, sprintete den steilsten Abschnitt von Primrose Hill hinauf, ihre Füße rutschten durch den Matsch. Asphaltwege durchschnitten das Gras; wo sie sich kreuzten, standen gusseiserne Laternenpfähle, schwarz und aufrecht. Seine Gedanken waren angeschwollen, träge, doch die Welt um ihn herum zeigte sich entnervend frisch. Er konnte Furcht und Schuldbewusstsein in seiner Kehle spüren. Aber neben seiner
Angst, dass Prock irgendwie recht hatte, begann sich auch ein leises Gefühl der Ungerechtigkeit zu regen.
    »Es tut mir leid. Wir haben kaum miteinander gesprochen.«
    »Mehr war nicht nötig.«
    Stille kehrte zwischen ihnen ein.
    »Nun«, sagte Prock. »Ich kann Sie nicht verhaften lassen. Ich kann Sie nicht anzeigen. Aber ich kann dafür sorgen, dass Sie verstehen. Ich werde Ihrem Gewissen die Arbeit überlassen. Auf Wiederhören.« Die Leitung war tot.
    Webster fühlte sich leer. Er schaute zum Spielplatz zurück, der nun ein paar Hundert Meter entfernt lag, und kehrte um, mit den unsicheren Schritten eines Mann, der gerade niedergeschlagen worden ist.
    Als er durch das Tor ging, sah er, wie Elsa bei David hockte, der in Tränen aufgelöst war. Elsa hielt ihm ein Taschentuch an die Nase.
    »Da bist du ja«, sagte Elsa. »Kannst du übernehmen? Nancy will, dass ich sie anschubse.« Sie stand auf, mit Davids Hand in ihrer eigenen. »Was ist los? Du siehst ganz blass aus.«
    »Tut mir leid, ich … lieber Himmel, ich …«
    »Was ist?« Sie schaute ihn besorgt an.
    »Der Mann, den ich in Berlin treffen wollte …« Er zögerte, wusste nicht, wie er es sagen sollte.
    »Der nicht reden wollte?«
    Webster nickte. »Er ist tot. Das war gerade sein Partner.«
    »Lieber Gott. Wie?«
    »Das hat er nicht gesagt.«
    »Komm her.« Sie nahm seine Hand und zog ihn zu sich, er legte seinen Kopf für einen Moment an ihren. Daniel gab
ein wimmerndes Geräusch von sich. »Das ist ein ziemlicher Schock. Weißt du was? Lass uns nach Hause gehen. Du brauchst eine Tasse Tee.«
    Er zog sich etwas von ihr zurück und sah sie an. »Danke, Schatz, aber … Ich sollte mit Ike reden. Er hat gesagt, es ist meine Schuld.«
    »Ike?«
    »Nein, um Himmels willen, nein, der Anrufer. Er scheint zu denken, dass Gerstman noch am Leben wäre, wenn ich mich nicht mit ihm getroffen hätte.«
    »Daniel, sei mal still – nur ganz kurz. Aber das ist doch Unsinn. Du weißt nicht einmal, wie er gestorben ist.«
    »Nein. Ich weiß es nicht. Ich muss Ike sehen. Tut mir leid. Ich … kommst du hier alleine

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