Der Lockvogel
perfekten Zeugen, sondern Malin selbst würde entmannt und entblößt dastehen.
»Wären Sie bereit, vor Gericht auszusagen?«, fragte Webster Onder, als sie fertig waren.
Onder schaute ihn an und dachte einen Moment lang nach. »Gegen Malin vielleicht, ja. Für Tourna … da bin ich nicht so sicher. Vielleicht. Geben Sie mir etwas Zeit zum Nachdenken.«
»Und wie wäre es, ein wenig für mich zu arbeiten?«
Wieder zeigte sich kurz ein Lächeln auf Onders Gesicht. »Haben Sie jemals Ermittlungen gegen mich angestellt?«
»Erstaunlicherweise nicht. Wieso?«
»Ich dachte, dann wäre ich für Sie Zielperson, Klient und Informant in einer Person. Das wäre eine echte Ehre. Was hatten Sie denn im Sinn?«
»Vielleicht könnten Sie sich mal mit Richard Lock unterhalten.«
Eines der Dinge, die Webster daran schätzte, kein Journalist mehr, aber auch kein richtiger Spion zu sein, war, dass er mehr Zeit mit seiner Familie verbrachte. Er hütete diese Zeit sorgsam. Hammer war immer zu erreichen, schaltete sein Telefon niemals ab, und nichts gefiel ihm besser, als mitten in der Nacht angerufen zu werden, weil das bedeutete, dass etwas Interessantes geschah. Doch Webster schaltete abends um sechs mit Vergnügen sein Telefon aus und ließ es das ganze Wochenende über in einer dunklen Schublade liegen. Hammer hatte ihn schließlich gezwungen, es jeden Tag bis neun Uhr anzulassen. Webster räumte widerwillig ein, dass ein Klient, der gut genug war, ihm sein Geld zu geben, das Recht hatte, mit ihm zu reden, wann er wollte. Trotzdem widerstrebte es ihm, diese Anrufe zu beantworten, ebenso wie ihm Klienten-Dinner oder Arbeitsfrühstücke oder Fahrten widerstrebten, die sein Wochenende beschnitten. Er hatte altmodische und manchmal auch ungehaltene Vorstellungen über die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben.
Als sein Telefon an diesem Sonntag klingelte, war er deshalb versucht, den Anruf nicht anzunehmen. Das klare, kalte Wetter der letzten beiden Tage war niedrigen dunklen
Wolken und einer Schwüle gewichen, die Webster enervierend fand. Er war mit Elsa und den Kindern auf dem Spielplatz. Daniel sammelte unter dem Klettergerüst Holzspäne, die er zu drei säuberlichen Häufchen neben einer Bank aufschichtete. Er hatte seine Jacke ausgezogen und arbeitete konzentriert, hockte sich auf seinen stämmigen Kleinkinderbeinen nieder, stand auf, ging ein Stück, hockte sich wieder hin. Webster beobachtete ihn, fasziniert von seiner Entschlossenheit. Das war richtige Arbeit. Elsa saß auf der Wippe und federte mit ihrem Sitz abrupt nach unten, sodass Nancy auf ihrer Seite in die Luft gehoben wurde. Nancy lachte jedes Mal, ein verschwörerisches Glucksen.
Das Handy summte in seiner Tasche. Der Anrufer wurde als unbekannt angezeigt, und in diesem Moment fielen ihm ein Dutzend Unterhaltungen ein, die er jetzt nicht führen wollte. Er entschuldigte sich bei Elsa, ging ein paar Schritte zur Seite und nahm den Anruf entgegen.
»Ben Webster.«
»Hallo, Mr. Webster. Hier ist Philip vom Telefondienst. Wir hatten einen Anrufer auf der Hauptleitung von Ikertu, der nach Ihnen gefragt hat. Wir haben Ihre Nummer natürlich nicht weitergegeben, aber vielleicht wollen Sie ja zurückrufen.«
»Danke, Philip. Wer war es denn?«
»Ein Mr. Prock, Sir. P-R-O-C-K. Er hat eine Telefonnummer hinterlassen. In Deutschland, glaube ich.«
»Danke, ich schreibe sie mir auf.« Philip diktierte ihm zweimal langsam die Nummer. Webster tippte sie auf der Tastatur seines Handys ein.
Prock. Warum sollte Prock anrufen? Seinen Namen musste er von Gerstman erfahren haben, denn wenn er Ikertu
wegen irgendetwas anderem anrufen würde, hätte er nicht speziell nach ihm gefragt. Vielleicht wusste er etwas, das Gerstman nicht verraten wollte; vielleicht wollte er ihn nur auffordern, Gerstman in Ruhe zu lassen. Vielleicht hatte er einen Job für ihn. Auch das wäre nichts Ungewöhnliches.
Webster machte Elsa Zeichen, dass er jemanden anrufen musste, und verließ den Spielplatz. Es klingelte mehrmals, bis Prock abnahm.
»Grüß Gott. Prock.«
»Mr. Prock, hier spricht Ben Webster. Sie hatten versucht, mich zu erreichen.«
»Warten Sie einen Augenblick.«
Webster konnte hören, wie sich Procks Hand über den Telefonhörer legte, dann das gedämpfte Geräusch einer Tür, die geschlossen wurde.
»Mr. Webster.« Prock hatte eine Tenorstimme mit einem dünnen, engen Klang, als ob er die Worte herauspresste. Sein Akzent war demonstrativ, sogar ein bisschen
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