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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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in Ordnung war, dass er noch im Büro bliebe, um den Anruf zu beenden. Er konnte sich die Szene bildlich vorstellen.

    Lock verschlief den letzten Teil des Fluges. Es war ein schwerer Schlaf; er erwachte, als das Flugzeug sanft auf der Landebahn des Scheremetjewo-Flughafens aufsetzte, und fühlte sich schwerfällig und begriffsstutzig. Moskau sah glanzlos und grau aus, bedrängt von niedrigen Wolken, es war schon fast ganz dunkel. Lock löste seinen Gurt und stand mit Schmerzen in Schultern und Rücken auf, er streckte sich und machte sich auf den Weg zur Gepäckausgabe. Es war ein ruhiger Flug gewesen. Mit etwas Glück würde er ziemlich am Anfang der Schlange an der Passkontrolle stehen und ohne diese schreckliche schlurfende Warterei durch den Flughafen kommen.

    Am Ende wurden es eine Stunde und fünfzehn Minuten – zwei Flugzeuge voller Koreaner und Bulgaren waren gerade vor ihm gelandet. Es war schon schlimmer gewesen. Mit seinem Koffer im Schlepptau schlenderte er durch den Zoll, gab dem Beamten seine Zollerklärung und trat dann hinaus ins eigentliche Russland, um nach Andrej und seinem Auto Ausschau zu halten. Andrej wartete normalerweise am Schalter der Hertz-Autovermietung, doch heute war er nicht da. Lock blieb stehen und schaute in der Halle auf und ab. Nichts zu sehen. Er stellte seinen Koffer ab und nahm sein russisches Handy heraus. Während er nach der Nummer suchte, fühlte er eine Hand auf seinem Oberarm.
    »Mr. Lock.« Eine tiefe, ausdruckslose Stimme. Russisch. Lock blickte nach rechts und dann nach oben. Der Mann, der ihn angesprochen hatte, war mindestens einsneunzig groß und breitschultrig. Sein feines blondes Haar war so kurz geschoren, dass Lock die weiße Kopfhaut darunter sehen konnte.
    »Ja.«
    »Würden Sie bitte mit uns kommen? Wir fahren Sie in die Stadt.«
    Lock schaute nach links. Dort stand ein weiterer Mann, ähnlich gebaut, allerdings ein wenig kleiner, mit grauem Haar und gebrochener Nase, die Hände respektvoll vor dem Körper gefaltet. Beide trugen wasserabweisende schwarze Winterjacken und Jeans.
    »Wo ist Andrej?«
    »Wir vertreten Andrej heute.«
    Lock war mit einem Schlag hellwach. Er hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Angst stieg in ihm auf.
    »Wer hat Sie geschickt?«

    »Wir kommen vom Ministerium.«
    Der grauhaarige Mann nahm Locks Koffer und rollte ihn in Richtung Wartehalle. Sein Kollege ließ Locks Arm los.
    »Kommen Sie. Bitte.«
    Lock folgte ihnen. Seine Aktentasche fiel ihm ein. Warum hatte er sich nur diese dämlichen Notizen gemacht? Er sollte ihnen sagen, dass er zur Toilette musste, und dort die Seite herausreißen und wegspülen. Und wenn sie ihm nun die Tasche abnahmen, bevor er hineinging? Gott, er war mit solchen Dingen hoffnungslos überfordert. Sie hatten ihm die Tasche nicht abgenommen, überlegte er; wenn sie gewollt hätten, dann hätten sie es längst getan.
    Unten im Durcheinander der parkenden und qualmenden Autos leuchteten die Blinker eines BMWs auf, und sie stiegen alle drei ein. Lock saß auf dem Rücksitz, sein Empfangskomitee massig auf den Vordersitzen. Inzwischen war es dunkel geworden, und der Grauhaarige fuhr mit hoher Geschwindigkeit durch den stockenden Verkehr, wie jemand, der es gewohnt ist, Immunität zu besitzen. Lock sagte nichts. Er wusste, dass er von diesen beiden keine Antworten bekommen würde. Sie sahen aus wie Spezialeinsatzkräfte. Nicht, dass er sich wirklich mit solchen Dingen auskannte, aber sie waren eindeutig von einem anderen Schlag als Andrej.
    Nach und nach wurden die Hochhäuser und Plakatwände häufiger. Draußen im Dunkeln ballte sich Moskau zu einer Stadt zusammen. Sie passierten das Dynamo-Stadion und fuhren den Leningradski-Prospekt entlang in Richtung Ministerium. Doch in der Majakowskaja bogen sie in östlicher Richtung auf den Gartenring ab. Das ergab keinen Sinn. Wie ein Schock ergriff Lock eine neue Angst: Was war, wenn
diese Männer gar nichts mit Malin zu tun hatten? Wenn sie vom FSB kamen? Oder schlimmer noch, wenn jemand anders sie geschickt hatte, was bedeuten würde, dass … ja, was? Dass Malin in Ungnade gefallen war?
    Jetzt hatten sie den Ring verlassen und fuhren ins chaotische Herz der Stadt. Der BMW fegte durch ein Gewirr kleiner Straßen, vorbei an niedrigen, stuckverzierten Gebäuden, die von den Straßenlampen in ein stumpfes Orange getaucht wurden. Lock kannte diese Route. Sie würde ihn in die Nähe seiner Wohnung bringen. Das Auto bog nach links in die Maly Zlatoustinskiy

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