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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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berührten Feinfühligkeit behandeln, hinter der sich die Überzeugung verbarg, dass es sowieso hoffnungslos war.
    Es gab nur eine kurze Pause. Vier Stunden von Paris nach Moskau in der Sonne über den Wolken. Am Scheremetjewo-Flughafen angekommen würde er dann sein BlackBerry wieder einschalten, und alles würde von vorne losgehen. Die Anrufe von den Cayman Islands, von Zypern, von Gibraltar, alle nervös wegen dieser Ikertu-Leute. E-Mails von Kesler und Griffin über das Pariser Desaster und was in aller Welt man als Nächstes tun sollte; vielleicht um die Sache abzurunden noch ein oder zwei Anrufe von Journalisten, die erst jetzt auf die Geschichte aufmerksam geworden waren und mitmischen wollten. Er fragte sich, was der schlimmste Moment in dieser Woche voller Schrecken gewesen war: von diesem säuerlichen Kronanwalt Mr. Lionel Greene Stück für Stück auseinandergenommen zu werden; von seiner Sekretärin zu erfahren, dass Malin darum gebeten hatte, ihn nach seiner Rückkehr sofort aufzusuchen; oder von dem zuverlässigen und normalerweise unerschütterlichen Herrn Rast,
dem ältesten und ruhigsten von Malins Schweizer Kollegen, erzählt zu bekommen, dass die Züricher Staatsanwaltschaft angefangen hatte, ihm Fragen über Faringdon und Langland zu stellen. Wahrscheinlich mit knappem Vorsprung der Anruf von Rast. Greene hatte sich nach Kräften bemüht, ihm das Leben schwerzumachen, und Malin war zumindest ein Übel, das er kannte; Schweizer Staatsanwälte aber waren eine neue und Furcht einflößende Erscheinung.
    Gott, diese Kronanwälte hatten es wirklich drauf. Während sein Blick über die jungfräuliche Welt aus Sonnenschein, Tiefblau und reinem Weiß vor seinem Flugzeugfenster wanderte, wurde ihm klar, dass er Greene bewundert hatte, und dass ein kleiner Teil von ihm selbst in dem Moment, als Greene ihn gerade zerfetzte, von seiner Agilität, seiner absoluten Sicherheit fasziniert gewesen war. Lock fragte sich, ob er, in einem anderen Leben, auch so gut hätte werden können. Vielleicht würde er nicht dasselbe Vergnügen daran finden, noch das letzte bisschen Fleisch von den Knochen eines Mannes zu nagen, wie es Greene bei ihm gemacht hatte – wie ein Chirurg, der eine Krabbe verspeist.
    Es gab Anlass zu vorsichtiger Hoffnung; Kesler zumindest zwang sich zum Optimismus. Lock hatte es zwar nicht geschafft, irgendjemanden davon zu überzeugen, er sei ein Ölmagnat, aber Tourna hatte auch nicht beweisen können, er sei betrogen worden. Es war allerdings unwahrscheinlich, dass die Angelegenheit mit Paris erledigt sein würde. Kesler hatte Lock auch daran erinnert, dass nicht seine Glaubwürdigkeit vor Gericht stand – das war auch besser so – und dass nichts davon in der Presse berichtet werden würde. Und das erleichterte ihn am meisten.
    Aber Malin. Verdammt. Lock fragte sich, wie viel er wusste.
Vermutlich würde Kesler ihm berichten, wie die Anhörung gelaufen war, in dessen eigenem Interesse es liegen müsste, die schlimmsten Details auszusparen. Doch das würde Kesler nicht ähnlich sehen. Die ganze Peinlichkeit dieser Sache schnürte Lock die Kehle zu.
    Immerhin hatte er es hinter sich und würde es nicht noch einmal durchmachen müssen. Malin würde wütend sein, das stand fest, aber es gab nicht viel, was er tun konnte. Vielleicht auch nicht viel, was er sagen konnte – denn schließlich war er es doch gewesen, der Lock für diesen lächerlichen Job überhaupt erst engagiert hatte, oder? Letzten Endes war Malin verantwortlich, in jeder Hinsicht. Lock lächelte ohne Begeisterung.
    Er schaute auf seine Uhr. Halb elf französischer Zeit, halb zwei in Russland. Ein guter Zeitpunkt für einen zweiten Drink. Er leerte den Becher, der vor ihm stand.
    Um sich abzulenken, nahm er ein Notizbuch aus seiner Aktentasche, räumte die Brezel-Verpackungen von dem wackligen Klapptisch, reichte den ganzen Abfall über den leeren Sitz neben sich einer Stewardess und bat sie, ihm noch einen Gin zu bringen. Er suchte eine leere Seite in seinem Buch und zog einen Stift aus der Tasche. Er begann mit dem Datum und wollte schon Dossier schreiben, als ihm einfiel, dass das vielleicht keine gute Idee war, also schrieb er stattdessen Ideen . Dann saß er eine Weile da, betrachtete seine Überschrift und wartete auf eine Inspiration, während er geistesabwesend die gegenüberliegende Seite vollkritzelte. Schließlich zeichnete er drei Kästen: Was Malin weiß , Was ich weiß und Was ich wissen muss . Jetzt konzentrierte er

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