Der Lockvogel
sich und fing an, in die Kästen zu schreiben. Der letzte füllte sich langsam.
Was er wissen musste, war, woher das Geld stammte. Das war schwierig. Er bekam nur die oberste Schicht zu sehen. Seine Offshore-Firmen erhielten Transfers von einem Dutzend Unternehmen, die irgendwo in Russland eingetragen waren. Erst hinter diesen standen echte Unternehmen, die das Geld generierten. Lock, der in unzähligen Meetings gesessen hatte, hatte eine grobe Vorstellung davon, wie das ablief: Sie verlangten von ihren Kunden – staatlichen Unternehmen, die keine andere Wahl hatten – überhöhte Preise für Waren und Dienstleistungen; sie kauften billig ein und verkauften zu Marktpreisen; sie sicherten sich Lizenzen, die sie nicht selbst nutzten, sondern mit riesigen Profiten verkauften. Aber das war alles. Man hatte ihn nie in die Einzelheiten eingeweiht.
Schließlich fügte er einen vierten Kasten hinzu: Wo es diese Informationen gibt . Er dachte eine Weile nach. In Malins Kopf, dort existierten sie. Er schrieb es auf. Regierungsunterlagen. Wahrscheinlich gab es irgendwo in den unvorstellbaren Tiefen des Kreml Akten, die er und viele andere sehr gerne einmal lesen würden. Wo noch? Malins Büro im Ministerium. Malins Zuhause? Möglich. Er schrieb es hin. Tschechanows Büro. Was war mit den russischen Anwälten? Ja, da könnte es etwas geben.
Tschechanows Büro. Eigentlich müsste alles in diesem Büro sein, oder? Wenn man einen Zeugen gegen Malin auswählen dürfte, dann wäre das Tschechanow. Er wusste alles. Jede korrupte Zahlung, jede heikle Transaktion, jeder Betrug, den Malin je begangen hatte.
Das war der Ort. Konnte er dort einbrechen? Eine verrückte Idee. Aber er konnte jemanden engagieren. Irgendeine dieser Sicherheitsfirmen, die in den Moskauer Zeitungen
inserierten und damit warben, dass sie früher für die Regierung gearbeitet hatten. Sie müssten es natürlich diskret tun – jeder Hinweis darauf, dass in das Büro eingedrungen worden war, würde sich vielleicht zu ihm zurückverfolgen lassen. Gab es eine Möglichkeit, es Ikertu in die Schuhe zu schieben? Eine Spur nach London zu legen? Er könnte diese schwachsinnigen Londoner Privatermittler damit beauftragen, ein paar zwielichtige Russen für ihn zu engagieren.
Lock lehnte sich in seinem Sitz zurück und berauschte sich an seinem Plan. Er war nicht schlecht. Im Gegenteil, er war gut. Solche Dinge passierten in Moskau schließlich täglich. Er fing tatsächlich an, wie ein Russe zu denken.
Aber dann dachte er doch wieder wie ein Anwalt: Konnte man sich auf die Loyalität seiner Privatermittler von Invest-Sol verlassen? Wenn auch nur einem von ihnen dämmerte, was da vor sich ging, würde Lock sich erpressbar machen. Noch wahrscheinlicher und auch gefährlicher war es, dass jemand den Job vermasselte. Dann würde der schreckliche Horkow oder eine noch schrecklichere Kreatur aus Malins brutalem Regiment ehemaliger Elite-Geheimdienstleute alles zu ihm zurückverfolgen.
Er war kein Meisterverbrecher. Auch nach drei großen Gin Tonics auf dem Vormittagsflug durfte er das nicht vergessen.
Er wälzte das Problem eine Weile hin und her, verwarf Ideen als zu ängstlich oder zu gewagt. Nur Tschechanow ging ihm nicht aus dem Sinn. Er war der Schwachpunkt. Nun ja, zumindest der einzige Punkt, der überhaupt schwach aussah. Vor Jahren hatten er und Lock sogar nebeneinanderliegende Büros gehabt, in einem Gebäude in unmittelbarer Nähe des Nowy Arbat – bis Malin entschied, dass das einen falschen Eindruck vermittelte, und sie getrennt hatte. Aber selbst jetzt
war er noch regelmäßig in Alexejs Büro. Wenn er nur einmal zwanzig Minuten allein darin sein könnte. Dort gab es – wie viele? – fünf oder sechs Aktenschränke, mehr nicht.
Jeden Dienstag um sieben Uhr abends, eine Stunde vor Lock, traf sich Tschechanow mit Malin, und alle zwei oder drei Wochen setzten sich Lock und er vorher zusammen in seinem Büro, um sich auf ihre jeweiligen Besprechungen vorzubereiten. Jedes dieser Meetings endete damit, dass Tschechanow sich bei Lock entschuldigte und hastig zu Malin eilte, sodass Lock sich selbst hinauslassen musste. Alles, was Lock zu tun brauchte, war, ein Meeting für den nächsten Dienstag zu vereinbaren, ein wenig zu spät zu kommen und eine lange Agenda vorzubereiten. Oder wie wäre es, wenn sein Telefon in dem Moment klingeln würde, wenn Tschechanow gerade ging? Er würde den Anruf annehmen, ein paar ernste Halbsätze murmeln und Alexej fragen, ob es
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