Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
der üblichen Weihnachtsmotive, sondern zwei miteinander verschlungene Luchse. Solche Karten hatte ich in Huelva in Spanien gesehen. Auf dem Umschlag stand mein Name und darunter c/o Mrs. Voutilainen. Als Absender war A. Lusis angegeben. Die Karte war unbeschrieben, aber im Umschlag steckte ein zweifach gefalteter Briefbogen.
«Frohe Weihnachten, liebste Hilja. Ich wusste, ich konnte mich darauf verlassen, dass du den Inhalt der verschlossenen Schublade an dich nimmst. Hast du die Bedeutung des Rings schon begriffen? Ich habe ihn für dich anfertigen lassen und hätte ihn dir gern selbst angesteckt, aber ich musste fliehen. Ich habe mich darauf verlassen, dass du auf dich aufpassen kannst, und ich hatte recht. Kümmere dich um den Ring, und auch um das andere, das in der Schublade lag.
Wo ich mich aufhalte, kann ich dir immer noch nicht verraten. Du könntest sonst in Gefahr geraten, und das will ich nicht. Ich kehre zurück, sobald ich kann, falls ich kann. Das, was man mir vorwirft, habe ich nicht getan, ich möchte, dass du das weißt. Die Dinge liefen eben nicht wie geplant. Ich konnte nicht anders handeln. Ich verlange nicht, dass du auf mich wartest, aber ich hoffe es und bete auch darum. Es stört mich nicht, wenn du in der Zwischenzeit mit anderen zusammen bist.»
Der Brief trug keine Unterschrift, aber Davids Krakelschrift war leicht zu erkennen, und der Name Lusis verwies natürlich auf ihn.
In mir gärte es. Für wen hielt sich Stahl eigentlich? Glaubte er, er könne jederzeit in mein Leben zurückkehren, wenn es ihm passte, und dann wieder auf unbestimmte Zeit verschwinden? Ich war keine Penelope, die ewig wartete und allen Versuchungen widerstand. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, auf der Stelle Trankow anzurufen und ein Treffen zu vereinbaren. Stattdessen suchte ich auf meinem Handy Teppo Laitios Nummer heraus. Ich musste einfach mit jemandem sprechen, nein, nicht sprechen, sondern schreien. Draußen herrschte Schneegestöber, der Winter hatte endgültig Einzug gehalten, und auf der Yrjönkatu kamen einige alte Damen ins Rutschen.
«Nanu, Ilveskero. Was verschafft mir die Ehre?»
«Bist du zu Hause oder in Jokiniemi? Ist Rytkönen in der Nähe?»
«Nein, dem Himmel sei Dank! Ich bin in meinem Arbeitszimmer in der Urheilukatu.»
«Und dein Telefon wird ganz bestimmt nicht abgehört? Wir müssen uns treffen. Ich habe Post von Stahl bekommen, und außerdem habe ich den Verdacht, dass Rytkönen einen obdachlosen Alkoholiker, der auf dem Hof hinter dem Sans Nom sein Lager aufgeschlagen hatte, mit vergiftetem Schnaps ermordet hat.»
Das Geräusch, das an meine Ohren drang, ließ mich vermuten, dass Laitio die Zigarre aus dem Mund gefallen war. Ich dachte an all das, was ich ihm verschwiegen hatte. Mir schwante, was für ein Wutausbruch mich erwartete, wenn ich gestand, dass ich mich als Reiska, dessen Existenz Laitio äußerst unangenehm war, mit Rytkönen getroffen hatte. Aber jetzt konnte ich Laitio nichts mehr verheimlichen. Vielleicht war ich Bezirksmeisterin im Lügen, doch in der nächsthöheren Klasse würde ich schon schlechter abschneiden, und als Vertreterin Finnlands bei internationalen Wettkämpfen würde ich niemals antreten können. Laitio hatte immerhin das Zeug zum Schiedsrichter bei den Landesmeisterschaften.
«Was redest du da? Wen hat Rytkönen ermordet, und von wo hat Stahl dir geschrieben?»
Ich war noch nicht einmal auf die Idee gekommen, die Briefmarke oder den Stempel anzusehen. Es war eine litauische Marke, in Kaunas abgestempelt. Das passte zu Trankows Behauptung, Gintare habe ihr Kind in ein Waisenhaus gegeben und David suche nach ihm.
«Aus Kaunas, am 23 . November. Der Brief ist zuerst an Frau Voutilainen in der Untamontie gegangen. David wusste, dass seine Post mich auf dem Weg erreicht, auch wenn er meine derzeitige Adresse nicht kennt.» Meine Stimme zitterte, ich hätte wer weiß was für eine Zigarre oder einen Tequila gegeben.
«Sieh zu, dass du herkommst. Ich habe dir auch etwas über meinen lieben Freund Rytkönen zu erzählen. Mittlerweile traue ich ihm alles zu, sogar einen Mord.»
«Ich kann jetzt nicht, ich muss zur Arbeit! Aber ich versuche, ein bisschen früher Schluss zu machen. Passt es heute Abend nach zehn?»
«Meine Alte hat ihren Bridge-Abend. Ich könnte natürlich mittendrin Durchfall kriegen, aber dann motzt sie wieder wochenlang.»
Schließlich verabredeten wir uns für den nächsten Morgen. Ich würde versuchen, im Sans Nom eine
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