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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Schatten auf den Boden. An den Nachmittagen, an denen der Wind über den Hof zog – die Frauen in ihren Zimmern, der Vater bei der Arbeit, Daniel draußen – an den glatten Nachmittagen, an denen ein Wind voller Sonne wie über Ruinen blies, die Wände bloßlegend, von denen der Putz blätterte, da streifte Virgínia durch die verlassene Makellosigkeit. Sie ging und sah sich um, in zerstreutem Ernst. Es war Tag, die Felder erstreckten sich hell und ohne Flecken, und sie bewegte sich schlaflos. Dabei verspürte sie ein diffuses Unbehagen an den ruhigen Nerven – klein und dünn, an den Beinen die Spuren von Mücken und Stürzen, so stand sie an der Treppe und sah sich um. Die in sanftem Schwung nach oben führenden Stufen erlangten eine feste Anmut, die derart schwerelos war, dass Virgínia ihre Wahrnehmung fast sofort wieder verlor, und dann verharrte sie, vor sich nichts als staubüberzogenes Holz und roten Samt, Stufe, Stufe, trockene Winkel. Ohne zu wissen, warum, blieb sie dennoch stehen und wedelte mit den nackten, schmalen Armen; sie lebte am Rand der Dinge. Das Esszimmer. Das Esszimmer voller Punkte, die für nichts standen. Der Geruch eines leeren Hauses. Aber der Lüster! Da war der Lüster. Der große Kronleuchter glühte weiß. Sie betrachtete ihn reglos, beunruhigt, als ahnte sie ein schreckliches Leben voraus. Dieses Dasein aus Eis. Einmal! Einmal, bei einem raschen Blick – versprühte der Kronleuchter Chrysanthemen und Freude. Ein anderes Mal – während sie durchs Esszimmer rannte – war er ein züchtiger Samen. Der Lüster. Hüpfend verließ sie den Raum, ohne sich umzusehen.
    Abends erstrahlte das Esszimmer in einem flackernden, sanften Licht. Zwei Öllampen standen auf der Kommode für diejenigen bereit, die sich zurückziehen wollten. Bevor man sein Zimmer betrat, musste das Licht gelöscht sein. Bei Tagesanbruch krähte ein Hahn ein makelloses Kreuz hinaus – aus der feuchten Senke verbreitete sich fernhin ein kühler Geruch, der Ruf eines Vogels kratzte an der Oberfläche des Halbdunkels, ohne sie zu durchstoßen. Virgínia hob zaghaft die lauen Sinne, die geschlossenen Augen. Die blutrünstigen und jungen Schreie der Hähne wiederholten sich verstreut über das Umland von Brejo Alto. Ein roter Kamm schüttelte sich zitternd, während dürre, entschlossene Beine langsame Schritte über den bleichen Boden machten, dann wurde der Schrei ausgestoßen – einen Bogenschuss weit riss ein zweiter harter, munterer Hahn seinen wilden Schnabel auf und antwortete –, während die Ohren noch schläfrig in vager Aufmerksamkeit verharrten. Der entrückte, schwache Morgen verbreitete sich allmählich als Nachricht. Virgínia stand auf, schlüpfte in ihr kurzes Kleid, schob dann die hohen Fenster auf, der Nebel drang ins Zimmer, langsam und gepresst; sie tauchte den Kopf hinein, das Gesicht sanft wie das eines Tiers, das aus der Hand frisst. Die Nase bewegte sich feucht, die kalte Wange, feingestimmt in der Helligkeit, drängte nach vorne, in einem tastenden Impuls, frei und erschrocken. Sie sah kaum mehr als den einen oder anderen Stab des Gartenzauns. Stacheldraht ragte trocken aus dem eisigen Dunst; die Bäume stiegen schwarz in die Höhe, ihre Wurzeln verborgen. Sie öffnete die Augen weit. Da war der Stein, triefend vom Tau. Und hinter dem Garten das Land in jähem Verschwinden. Das ganze Haus schwebte, schwebte in Wolken, losgelöst von Brejo Alto. Selbst das unbebaute Land, um das sich niemand kümmerte, entfernte sich blass und still, und vergeblich suchte Virgínia in seiner Reglosigkeit eine vertraute Linie; das lose Reisig unter dem Fenster, nahe dem verfallenen Bogen am Eingang, lag klar und leblos da. Wenige Augenblicke später jedoch kam die Sonne heraus, weißlich wie ein Mond. Wenige Augenblicke später verschwanden die Nebel mit der Schnelligkeit eines Traums, der sich zerstreut, und der gesamte Garten, das Anwesen, die Ebene, das Buschwerk erstrahlten und gaben kleine Geräusche von sich, fein, zerbrechlich, noch müde. Eine intelligente, leuchtende und trockene Kälte zog durch den Garten, drang wie ein Hauch ins Fleisch. Ein Ruf von frischem Kaffee drang aus der Küche herauf, vermischt mit dem milden, atemlosen Geruch nach nassem Gras. Das Herz klopfte in schmerzhafter und feuchter Erregung, wie durchbohrt von einem Wunsch, der nicht sein konnte. Und das Leben des Tages nahm perplex seinen Anfang. Ihre Wange zart und eisig wie die eines Hasen, die Lippen hart vor Kälte,
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