Der Maedchenmaler
beherrscht.
Ilka ließ ihn stehen. Sie ging ins Schlafzimmer zurück, machte die Tür hinter sich zu und warf sich aufs Bett. Sie musste nachdenken. Überlegen, was sie tun konnte. Stattdessen weinte sie, bis sie vor Erschöpfung einschlief.
Ruben trug das Tablett nach oben. Er war maßlos enttäuscht. So hatte er sich das Wiedersehen nicht vorgestellt. Er war auf anfängliche Schwierigkeiten gefasst gewesen, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass Ilka sich so verändert haben würde. Sie hatte eine andere Stimme. Und einen anderen Blick. Wo war ihr Lachen geblieben? Und ihre Zärtlichkeit?
Wie sie ihm auswich! Als hätte sie panische Angst davor, dass er sie berühren könnte. Dabei hatte sie sich einmal danach gesehnt. Er brauchte nur die Augen zu schließen, um ihre Haut wieder unter den Händen zu spüren. Und ihr Haar.
Wütend räumte er das Geschirr in die Spülmaschine. Was hatten drei Jahre aus Ilka gemacht! Ein Mädchen, das er kaum wiedererkannte.
Er stieg die Treppen zu seinem Atelier hinauf. Seit er in diesem Haus lebte, hatte er noch keinen Pinselstrich getan. Er trauerte dem Malen nach, dem Einssein mit sich und seiner Phantasie, den kurzen Momenten, in denen er beinah glücklich war.
Die letzten Handgriffe vor Ilkas Ankunft hatten seine gesamte Zeit beansprucht. Er hatte gehofft, dass sich nun endlich alles miteinander verbinden würde, die Arbeit, der Alltag und die Liebe. Er hatte davon geträumt, die ganz großen Bilder zu malen.
Doch dazu brauchte er Ilka.
Im Augenblick war er damit beschäftigt, eine Ausstellung in London vorzubereiten. Er hatte bereits eine Vorauswahl getroffen und die Bilder an der Wand des Ateliers entlang aufgereiht. Sobald er sich endgültig entschieden hatte, würde er sie zum Rahmen bringen. Das würde er weiterhin in dem kleinen Geschäft erledigen lassen, das er immer damit beauftragt hatte. In seinem neuen Umfeld wollte er vorerst so wenig in Erscheinung treten wie möglich.
Er betrachtete die Bilder. Sie alle zeigten einen Mann und eine Frau. Die Themen konnten gleichzeitig die Titel sein.
Auf dem Markt
.
Auf der Straße
.
In einem Caffee
.
Unter Menschen
.
Allein
.
Auf der Terrasse
.
Am Tisch
.
Auf dem Bett
.
Die Kritiker würden in den höchsten Tönen von diesem neuen, aufregenden Aspekt seiner Arbeit schwärmen, er sah die Headlines schon vor sich.
Der Maler und seine Muse
. Oder, noch besser:
Der Maler und die Liebe.
Ruben verzog verächtlich den Mund. Was verstanden die schon von der Liebe. Sie hatten keine Ahnung von wirklicher Leidenschaft.
Er dachte an die Interviews, die er im Laufe der Jahre gegeben hatte. Was die Leute vor allem andern interessierte, war sein Liebesleben. Tausend Fährten hatte er gelegt, um sie in die Irre zu führen. Den Paradiesvogel gespielt, um sie abzulenken.
Ihm wurde schlecht, wenn er daran dachte, mit wie vielen Frauen er geflirtet hatte, um das Gerücht aus der Welt zu schaffen, er trauere einer großen Liebe nach. Mit einigen hatte er sogar eine Nacht verbracht. Sie waren in den bekannten Maler verliebt gewesen, nicht in ihn. Manche hatten ihre Männer mit ihm betrogen. Die Gefahr der Entdeckung hatte ihn gereizt, mehr als die Frauen selbst.
Nur Judith hatte er wirkliche Nähe erlaubt. Sie war wie eine Schwester für ihn. Wie die Schwester, die Ilka nie hatte sein können. Er liebte sie auf eine ehrliche, schlichte Weise, die nichts mit Begehren zu tun hatte.
Er hatte ihr erklärt, er brauche mehr Ruhe zum Arbeiten. Deshalb habe er sich ein Refugium geschaffen, in das er sich für eine Weile zurückziehen werde. Sie solle sich weiterhin um das Haus und seine Termine kümmern. Er werde sich regelmäßig bei ihr melden. Und er verlasse sich auf ihre Verschwiegenheit.
Sie war einverstanden gewesen. Das hatte er auch nicht anders erwartet. Für Judiths Loyalität hätte er die Hand ins Feuer gelegt. Er merkte erst jetzt, was sie ihm alles abgenommen hatte. Vielleicht würde er sie irgendwann hierher holen können, wenn sich mit Ilka alles eingespielt hätte.
Eine halbe Stunde später stand er endlich an der Staffelei. Wie hatte er das vermisst, den Geruch der Farben, die grobe Struktur der grundierten Leinwand. Er hatte sich vorgenommen, die schlafende Ilka zu malen, doch plötzlich wusste er nicht mehr, wie ihr Gesicht aussah.
Wie konnte er ihr Gesicht vergessen!
Er fluchte, schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Es half nicht. Ilkas Gesichtszüge
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