Der Maedchenmaler
zu finden. »Natürlich. Wenn ich Ihnen damit helfen kann.«
»Ist Ilka ein unbeschwertes Mädchen?«, fragte Bert.
Marei Täschner überlegte nicht lange. »Nein. Das ist sie nicht. Vor gut drei Jahren hatten ihre Eltern einen schweren Autounfall. Mein Schwager ist dabei gestorben. Meine Schwester hat das Erlebnis nicht verkraftet und lebt seitdem in einem Heim für psychisch Kranke. Ilka ist sehr tapfer, doch sie kommt nicht darüber hinweg.«
»Wie alt ist Ihre Schwester?«
»Einundfünfzig. Zwei Jahre älter als ich.«
»Können Sie mir mehr über ihre Erkrankung sagen?«
»Seit dem Unfall hat sie kein Wort mehr gesprochen. Sie vegetiert zwischen lauter Demenzkranken dahin.«
»Hat Ihre Nichte Kontakt zu ihr?«
Marei Täschner nickte. »Sie besucht sie regelmäßig. Ilka glaubt fest daran, dass meine Schwester alles wahrnimmt und dass sie sich irgendwann auch wieder äußern wird.«
»Als hätte sie sich bloß eine Zeit lang in ihrem Körper verkrochen.«
Überrascht schaute Marei Täschner ihn an. Bert konnte sich denken, welches Bild sie von Polizeibeamten hatte. Da war sie nicht anders als die meisten Menschen. Ein Gedanke über die Befragungsroutine hinaus verwirrte sie.
»Ja«, sagte sie. »Genau so hat Ilka es einmal ausgedrückt.«
»Gibt es außer Ihnen weitere Verwandtschaft?«, fragte Bert und klappte sein Notizbuch auf.
»Nur noch Ilkas Bruder. Ruben.«
Ihr Zögern war Bert nicht entgangen. Was hatte es zu bedeuten? Er rief sich das Namensschild ins Gedächtnis zurück.
Ruben
hatte nicht darauf gestanden.
»Er lebt nicht bei Ihnen?«, fragte er.
»Nein.«
Diesmal hatte sie so prompt geantwortet, dass Bert nachhaken musste. »Warum nicht?«
Ihre Finger spielten mit dem Kaffeelöffel, drehten ihn hin und her, während sie überlegte. Schließlich sah sie ihn an. In ihren Augen war etwas, das Bert nicht einordnen konnte.
»Ilka wollte nichts mehr von ihm wissen.«
Bert schwieg, eine bewährte Methode, um das Gegenüber zum Reden zu bringen. Sie funktionierte auch hier. Marei Täschner hielt die Stille nicht aus.
»Sie hat uns nie gesagt, warum. Am Anfang haben wir sie nicht fragen wollen, weil sie genug Kummer hatte. Später haben wir nicht gefragt, weil wir sie nicht an schmerzliche Dinge erinnern wollten. Und schließlich hat sie das Recht, selbst zu bestimmen, wen sie in ihrem Leben haben möchte und wen nicht.«
Ruben. Der Name kam Bert bekannt vor. Ruben Helmbach. Hatte er ihn nicht in der Zeitung gelesen?
Marei Täschner schien seine Gedanken erraten zu haben. »Er ist Maler«, sagte sie.
Natürlich. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Margot hatte ihn sogar mal in eine seiner Ausstellungen geschleppt. Bert hatte die Bilder noch dunkel vor Augen. Sie hatten ihn an Gauguin erinnert, und er hatte sich mit Margot gestritten, die diesen Vergleich völlig unangemessen fand. Gauguin sei bis heute unerreicht. Kein Maler der Gegenwart könne ihm das Wasser reichen. Einen Gott hatte sie Gauguin genannt. Das hatte Bert zum Lachen gebracht und sie hatte ihn als überheblichen Idioten beschimpft und mitten in der Ausstellung stehen lassen.
»Ich erinnere mich«, sagte er. »Es ist schon eine Leistung, in dem Alter einen so enormen Erfolg zu haben. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Ihrem berühmten Neffen?«
Marei Täschner schüttelte bedauernd den Kopf. »Seit damals habe ich ihn nicht mehr getroffen. Ich habe, ehrlich gesagt, auch nicht das Bedürfnis danach. Ruben ist ein schwieriger Mensch. Etwas an ihm hat mir immer Angst eingejagt, sogar damals, als er noch ein Junge war.«
»Angst?«
Sie hob die Schultern. »Ich kann das nicht erklären. Er konnte einen angucken ¦ dass einem eine Gänsehaut über den Körper lief.« Sie trank ihren Kaffee aus. »Aber das ist nicht mehr wichtig. Alles Vergangenheit.«
Auch Bert trank seinen Kaffee aus. »Ich würde mir gern Ilkas Zimmer anschauen. Haben Sie etwas dagegen?«
»Selbstverständlich nicht. Wenn es Ihnen hilft, Ilka zu finden.« Sie stand auf. »Kommen Sie.« Von einem Augenblick auf den andern sah sie müde aus. Als hätte das Gespräch sie zutiefst erschöpft.
Bert kannte das. Die meisten Menschen kontrollierten sich sehr, wenn sie mit einem Polizisten redeten. Sie hatten Angst, etwas falsch zu machen und dadurch die Untersuchungen zu behindern. Doch das allein war es nicht. Marei Täschner wirkte wie jemand, der einen langen Kampf geführt hatte und nun begriff, dass er verloren war.
Kapitel 15
Der Tag
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