Der Maedchenmaler
nur Ilkas Freundin, sie ging auch in ihre Schule. Viele Schüler der Bröhler Schulen kommen aus kleinen eingemeindeten Orten außerhalb, doch mit etwas Glück würde ich ihren Namen im Telefonbuch finden.
Mike war unterwegs. Ihn konnte ich nicht nach Charlie fragen. Und ich hatte so ein dringendes Bedürfnis, etwas zu tun, dass ich nicht auf seine Rückkehr warten wollte. Merle war zu einer Tierschutzaktion unterwegs, also beschloss ich, allein aktiv zu werden.
Es gab einen Friedrich Weiß, einen Thorsten Weiß, eine Johanna Weiß, einen oder eine L. Weiß, eine Dr. Birthe Weiß und ein Ehepaar Inga und Dieter Weiß. Dann gab es noch einen Ferdinand, eine Sabine und eine Hildrun Weisz und einen Markus Weis. Ich hatte keine Ahnung, wie Charlies Nachname geschrieben wurde.
Mir war klar, dass Charlie höchstwahrscheinlich noch bei ihren Eltern wohnte und über keinen eigenen Telefonanschluss verfügte. Trotzdem war ich enttäuscht. So leicht, wie ich mir das vorgestellt hatte, würde sie nicht aufzutreiben sein.
Eine Weile starrte ich die Vornamen an und fragte mich, ob wohl ein Friedrich Weiß seine Tochter Charlie nennen würde oder eher eine Dr. Birthe Weiß. Dann fiel mir ein, dass Charlie ja vermutlich gar kein eigenständiger Mädchenname war, sondern eine Abkürzung von Charlotte. Oder Charlene? Carlotta? Es war vollkommen sinnlos, hier zu sitzen und einer Eingebung zu harren. Ich beschloss, die Nummern nacheinander anzurufen.
Ich hatte mir vorgenommen, keine großartigen Erklärungen abzugeben. Ich fragte einfach jedes Mal, ob ich Charlie sprechen könne.
Johanna Weiß ließ sich meinen Namen buchstabieren und rief dann nach Charlie. Ich freute mich, dass schon der dritte Anlauf ein Treffer war, da meldete sich eine Männerstimme: »Hallo?«
Ich erklärte Charlie Weiß, dass ich auf der Suche nach einer Freundin sei, da fragte er mich plötzlich, so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte, ob es nicht auch ein Freund sein dürfe.
»Wie bitte?«
»Ich würde mich gern zur Verfügung stellen«, sagte er, »wenn Sie nur halb so verführerisch sind, wie Ihre Stimme klingt.«
»Kein Wunder, dass Ihre Frau sich die Namen fremder Anruferinnen buchstabieren lässt«, konterte ich.
»Nicht Frau.« Er lachte. »Freundin. So schnell legt man mich nicht an die Leine.«
Der geborene Sympathieträger. Ich beendete das Gespräch und wählte die nächste Nummer.
Erst bei Hildrun Weisz wurde ich fündig. Charlie war selbst am Telefon. Als sie hörte, um was es ging, war sie sofort zu einem Treffen bereit. Wir verabredeten uns im
Dolce Vita
, dem EisCaffee am Markt.
Wir hatten kein Erkennungszeichen ausgemacht und im
Dolce Vita
war es rappelvoll. Es war das einzige EisCaffee in Bröhl, das während der Wintermonate geöffnet hatte. Als Zugeständnis an die kalte Jahreszeit waren Waffeln mit den unterschiedlichsten Beilagen im Angebot. Der Duft war überwältigend, und ich überlegte, ob ich mir eine Portion mit heißen Kirschen und Sahne leisten sollte.
Suchend blickte ich über die kleinen, runden Tische und fragte mich, wie Charlie wohl aussehen mochte. Nirgends saß ein Mädchen in meinem Alter allein an einem Tisch. Blauer Zigarettenrauch waberte in der aufgeheizten Luft. Der Geräuschpegel erfüllte locker den Tatbestand der Körperverletzung.
Jedes Mal wenn die Tür geöffnet wurde, ergoss sich ein erfrischender Schwall kalter Luft in den überfüllten Raum. Ich stand allen im Weg und war sauer auf mich selbst, weil ich nicht daran gedacht hatte, klarere Absprachen zu treffen.
In diesem Augenblick tippte mir jemand von hinten auf die Schulter.
»Jette?«
Charlie war sehr schlank und trug eine knallenge schwarze Jeans mit einem noch engeren schwarzen Pulli, der einen gepiercten Bauchnabel frei ließ. Die schwarz gefärbten Haare hatte sie im Nacken gebunden, was sie älter wirken ließ.
Sie war dieser Typ Mädchen, der sich immer und überall angeödet gibt. Voll cool. Selbst ihre schmalen Hände schienen gelangweilt zu sein. Hübsch und dekorativ lagen sie auf dem Tisch, geschmückt mit langen, künstlichen Fingernägeln und einem Silberring mit einem riesigen Rotfunkelstein.
»Ich wollte dich nach Ilka fragen«, kam ich ohne Umschweife zur Sache. »Vielleicht weißt du ja etwas, das uns weiterbringt.«
»Uns?« Argwöhnisch sah sie mich an.
»Ich wohne zusammen mit Mike in einer WG«, erklärte ich.
Sie hob die Schultern. War das alles, was sie zu bieten
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