Der männliche Makel: Roman (German Edition)
absurderen Meldungen mit Humor zu sehen. Wie zum Beispiel: »… Kollegen bei der Post berichten, dass Eloise Elliot seit ihrer Beziehung mit dem Ex-Sträfling einen, wie es heißt, völligen Persönlichkeitswandel durchgemacht und sich von einer eiskalten, arbeitssüchtigen Sklaventreiberin zu einer liebenswürdigeren und rücksichtsvollen Vorgesetzten entwickelt hat …«
Allerdings konnte ich das nicht witzig finden, weil es den Nagel auf den Kopf trifft.
Bei der Schlagzeile »Wie sie ihr Liebesleben vor ihren Chefs bei der Post geheim hielt …« blieb mir beinahe die Luft weg, bis Jake den Computer ausschaltete und mich gewaltsam vom Schreibtisch entfernte.
Außerdem werde ich immer wieder von Übelkeit und Panik ergriffen. Jake und Lily. Wie lange wird die Regenbogenpresse brauchen, um es herauszufinden? Ist es nur eine Frage der Zeit, bis es in allen Zeitungen steht? Denn obwohl sich die Sache inzwischen zur Hölle auf Erden entwickelt hat, bin ich so unbeschreiblich erleichtert, dass sie noch nicht hinter Jakes Verhältnis zu Lily gekommen sind.
Beim bloßen Gedanken daran wird mir heiß und kalt. Herrgott, ist es möglich? Kann so ein Albtraum Wirklichkeit sein? Anfangs hat sich ja nur ein einsamer Fotograf vor dem Haus herumgedrückt. Inzwischen drängt sich eine Horde dieser elenden Wichte vor dem Tor, alle mit riesigen Objektiven bewaffnet.
Verdammt, denke ich und werde plötzlich von Wut ergriffen. Ich wohne in einem hübschen, ordentlichen Haus mit einer Alarmanlage und einer Eingangstür mit Sicherheitsriegel und Lorbeerbäumchen davor. Und das auch noch in einer Straße, in der ein Sicherheitsdienst patrouilliert. Das hier kann doch nicht mein Leben sein. Ich bin schließlich nur eine auf Abwege geratene Zeitungsredakteurin, mehr nicht.
Aber als ich stumm auf dem Wohnzimmersofa sitze, in eine warme Decke gehüllt wie das Opfer eines Autounfalls und eine Tasse heißen Tee vor mir, von deren Anblick mir schon schlecht wird, sagt mir der winzige Teil meines Gehirns, der trotz des Nebels noch funktioniert, laut und deutlich, dass es stimmt. Das ist die Wirklichkeit. Es passiert tatsächlich. Mir. Jetzt. Und wie es aussieht, wird dieser Zustand noch eine Weile anhalten.
Jake weicht mir nicht von der Seite. Sein Arm, den er warm und beschützend um mich legt, ist in meinem derzeitigen Zustand das Einzige, was ich spüren kann. Auch Helen ist da. Und außerdem ein sehr sympathischer Mensch namens Ben Casey, der mir im Sessel gegenübersitzt. Offenbar ist er genauso besorgt wie ich, und da ich momentan wie betäubt und zu nichts in der Lage bin, freue ich mich, dass er hier ist. Er hat sich als Jakes Bewährungshelfer vorgestellt. Den ganzen Tag schon ist er uns eine große Unterstützung. Er hat sogar Jake und mich hierhergefahren, denn am Steuer wäre ich eine öffentliche Gefahr gewesen.
Lily ist wohlbehalten bei ihrer kleinen Freundin Rose untergekommen. Ich habe sie vorhin angerufen, ihr eine gute Nacht gewünscht und versprochen, sie gleich morgen früh abzuholen. Dabei habe ich mich gezwungen, mit hoher, fröhlicher Stimme zu sprechen, damit sie nicht merkt, dass Mama den Tränen nah ist. Positiv ist zu vermelden, dass ihr Stimmchen wohltuend auf mich gewirkt hat, und ich wusste, dass sie sich wunderbar amüsiert, als sie sagte: »Aber nicht zu früh, Mama. Ich und Rose wollen zum Frühstück Kuchen backen!«
»… schließlich war es nur ein Job …«, meint Helen gerade, und ich tue mein Bestes, um ihr Lächeln zu erwidern und so auszusehen, als stimmte ich ihr wirklich zu.
»… außerdem«, fügt Jake hinzu und drückt meine Hand, »darfst du nicht vergessen, wie schnell Geschichten wie diese Schnee von gestern sind. Sollen sie sich doch die Mäuler zerreißen. In ein paar Tagen wird sich niemand mehr daran erinnern.«
Eine sehr angenehme Vorstellung, und obwohl ich es nicht ganz glaube, ist es beruhigend, es zu hören.
Dann klingelt es an der Haustür. Helen eilt nach oben, um nachzuschauen, ob es ein Reporter ist. Kurz darauf kommt sie kreidebleich zurück.
»Eloise, du hast Besuch. Er wartet im Wohnzimmer auf dich«, meldet sie.
»Sie ist doch jetzt nicht in der Lage, jemanden zu sehen«, protestiert Jake, doch Helen unterbricht ihn.
»Es ist Sir Gavin«, teilt sie mir mit. »Und er will dich sprechen.«
Es dauert etwa zehn Minuten, meine siebenjährige berufliche Laufbahn mit fliegenden Fahnen untergehen zu lassen … und dennoch gelingt es mir nicht, etwas zu empfinden. Sir
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