Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Gavin verhält sich kühl und höflich, kennt aber, wie zu erwarten war, keine Gnade. Er möchte sich nicht einmal setzen oder etwas trinken, sondern bleibt an der Tür stehen und will es offenbar schnell hinter sich bringen.
Er sagt in etwa das Gleiche wie bei dem Gespräch von heute Morgen. Ich hätte einen schweren Fehler gemacht und auch noch die Frechheit besessen, den Vorstand heute Nachmittag warten zu lassen. Und nun sehe es ganz danach aus, als ob die Chefredakteurin dieser seriösen Zeitung selbst ein Thema für die Nachrichten geworden sei.
Jedenfalls läuft es auf eines hinaus: Ich bin draußen, und Seth ist drin. So einfach ist das. Ich kann ihn nur ansehen, als befände ich mich außerhalb meines Körpers. Dir habe ich all die Jahre meines Lebens geopfert, ist alles, was ich denke. Ich habe meine kleine Tochter kaum zu Gesicht bekommen, obwohl sie mir mehr bedeutet als jeder dämliche Job. So viel habe ich investiert. Und wofür? Für nichts, wie sich jetzt herausstellt.
Zu meiner eigenen Überraschung lächle ich sogar, als ich ihn hinausbegleite. Natürlich ächzt und stöhnt er, weil er die Demütigung ertragen muss, beim Betreten und Verlassen meines Hauses fotografiert zu werden. Doch das ist mir völlig egal.
»Ich bin verwundert, Eloise«, lauten seine Abschiedsworte. »Sie stecken das bemerkenswert gut weg.«
»Warum auch nicht?«, entgegne ich. »Vermutlich haben Sie mir gerade den größten Gefallen meines Lebens getan.«
Inzwischen ist es lange nach zehn. Ich liege immer noch auf dem Sofa und kann nicht ganz fassen, was gerade passiert ist. Ich habe die Kündigung gekriegt … und irgendwie ist es in Ordnung so. Der Himmel ist mir nicht auf den Kopf gefallen. Die Erde dreht sich weiter. Und seltsamerweise fühle ich mich so leicht wie schon seit Jahren nicht mehr. Außerdem angenehm schummerig von dem Wein, den die anderen mir praktisch eintrichtern. Ich bin genauso heilfroh wie ein Unfallopfer, wenn der außer Kontrolle geratene Wagen endlich zu schleudern aufhört. Das ganze Leben gleitet am geistigen Auge vorbei, aber man denkt … ja, mir ist nichts passiert. Ich habe das Schlimmste überlebt. Und wenn ich eines gelernt habe, dann, dass ich es mit der Unterstützung der Menschen, die ich zum Glück kenne, schaffen und noch einmal von vorne anfangen kann.
Jake, Helen und Ben, der uns den ganzen Abend eine große Hilfe war. Außerdem muss ich schmunzelnd feststellen, dass er Helen besonders viel Aufmerksamkeit schenkt. Ständig fordert er sie auf, doch noch ein Sandwich zu essen, bietet ihr mehr Wein an, plaudert mit ihr und will alles über sie wissen. Er ist aufmerksam und fürsorglich und mir sehr sympathisch.
Inzwischen sitzt er mit ihr am Küchentisch und bringt sie mit einer Anekdote über einen Burschen zum Lachen, den er derzeit als Bewährungshelfer betreut. Ben hat sich wirklich für ihn ins Zeug gelegt und ihm sogar einen Job als Gabelstaplerfahrer in einer Maschinenfabrik im Industriegebiet Westgate besorgt.
»Also habe ich ihm die gute Nachricht überbracht und geglaubt, er würde sich freuen.« Ben lächelt Helen an. »Ich habe ihm gesagt, dass er am Montag anfangen kann, und weißt du, was der Typ gesagt hat?«
»Was denn?«, erwidert Helen.
»›Ich soll in Westgate arbeiten? Da muss ich ja umsteigen! Vergiss es!‹, hat er geantwortet.«
Die beiden biegen sich vor Lachen, während ich schweigend zuschaue.
Ach herrje, denke ich mir lächelnd. Heute bin ich gefeuert worden und muss bald auf dem Arbeitsamt Schlange stehen, und jetzt betätige ich mich auch noch als Kupplerin!
Muss der Schock sein.
Mir fällt auf, dass Helen Darren kein einziges Mal erwähnt hat. Das passt so gar nicht zu ihr.
»Sicher bist du auch müde«, meint Ben gerade zu ihr und wirft ihr über den Tisch hinweg einen zärtlichen Blick zu.
»Hm, das liegt bestimmt am Wein.« Helen lächelt ihn an und unterdrückt ein Gähnen.
»Für dich war es genauso ein langer Tag wie für Eloise. Am besten gehst du jetzt schlafen.«
»Keine schlechte Idee«, entgegnet sie und streckt die Arme aus.
»Ich mache mich nun auch auf den Weg«, sagt Ben zu mir und Jake. Wir sitzen nebeneinander auf dem Sofa. Er trinkt ein Bier, ich bin schon beim vierten Glas Wein, der wunderbar wirkt. Nach diesem grauenhaften Tag fühle ich mich allmählich ein bisschen ruhiger und entspannter.
»Ich habe den armen Josh bei den Nachbarn gelassen«, erklärt Ben. »Also muss ich nach Hause, damit ich ihn gleich morgen
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